Dunkle Häfen - Band 1
fühlte den Boden unter ihren Füßen schwanken und hörte das Rauschen. Ein Sturm!
Hoffentlich handelt es sich um ein apokalyptisches Wellengebirge, das uns alle verschlingt, dachte sie unwillkürlich.
Und tatsächlich, kurze Zeit später raste ein ohrenbetäubendes Krachen und Bersten durchs Schiff, als hätte man ihren unbedachten Wunsch erhört. Ramis flog gegen die Wand, als sich das Schiff auf eine Seite legte. Danach blieb es für eine Weile still. Jemand riss die Tür auf.
"Schnell!" , rief der junge Mann mit panischer Miene. "Das Schiff sinkt!"
"Meine Fesseln!" , schrie Ramis, als er schon vorausrennen wollte.
Er kam zurück und half ihr hoch. Ramis stolperte hinter ihm her nach draußen. Kurz vor der Luke zum Außendeck schnitt er ihr die Fesseln durch.
"Wir sind auf ein Riff mitten im Meer aufgelaufen!" , stieß er immer noch schockiert hervor. "Wir müssen vom Schiff!"
"Aber..."
Sie waren doch mitten in einem Sturm! Oben herrschte Chaos. Regen peitschte übers Deck und Männer rannten umher, im Versuch, Rettungsbote ins Wasser zu lassen. In der Mitte des Schiffes verlief ein zackiger Riss. Sie saßen anscheinend gerade auf diesem Riff fest. Es war nicht einmal ein besonders heftiger Sturm, der sie geißelte, aber es hatte gereicht, um diesen einsamen Felsen zwischen den Wellen zu verbergen und das Schiff darauf zu schleudern. Erneut gab es einen Ruck, begleitet von Krachen und der Riss wurde schnell größer. Die eine Deckhälfte begann einfach ins brodelnde Wasser abzusinken. Die Menschen darauf versuchten, auf die andere Seite zu springen. Ein paar sahen jedoch, dass es sinnlos war, hier Schutz zu suchen, denn auch diese Seite würde nicht mehr lange halten. Sie sprangen ins Wasser und versuchten sich paddelnd oder schwimmend in Sicherheit zu bringen. Ramis beschloss, ihrem Beispiel zu folgen und nahm Anlauf, um über die Reling hinweg ins Wasser zu hechten. Das Wasser war kalt und schloss sich sofort über ihrem Kopf. Instinktiv riss Ramis den Mund auf und Wasser strömte ihr in die Luftröhre. Wild wurde sie herumgeschleudert, sie verlor die Orientierung. Überall blubberte und wirbelte es, Ramis wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Sie strampelte wild, um hinaufzukommen, während die Panik, zu ersticken, sie überwältigte. Auf einmal gab das Wasser Ramis frei und ihr Kopf war an der Luft. Sie spuckte das Wasser aus und schnappte gierig nach Luft, da überrollte sie schon die nächste Welle. Als Ramis wieder nach oben gelangte, sah sie, dass die Strömungen sie schon weit von dem sinkenden Schiff abgetrieben hatten. Ramis kämpfte darum, sich halbwegs über Wasser zu halten, von Schwimmen konnte kaum die Rede sein. Doch das Einzige, das sie letztendlich vor dem sicheren Ertrinken bewahrte, war, dass der Sturm sich schon ausgetobt hatte und sehr schnell weiterzog. Die See beruhigte sich erstaunlich rasch wieder, dennoch war Ramis kaum noch bei Bewusstsein. Ihre Glieder erlahmten unaufhaltsam. Schließlich entdeckte sie jedoch ein Schiffstrümmerstück, das wohl denselben Weg wie sie genommen hatte. Erschöpft klammerte sie sich daran. Hier trieb sie nun auf dem Meer, schiffbrüchig, seltsamerweise noch am Leben, doch am Ende würde auch sie den Kampf gegen die Kälte des Wassers verlieren. Weit und breit war nichts mehr zu sehen, außer ein paar vereinzelten Trümmern. Das Riff musste wirklich ein einzelner Berg, der aus dem Meer ragte, gewesen sein. Irgendwann begann Ramis zu zittern, obwohl jetzt die Sonne wieder hinter den Wolken hervorkam. Die Piratin versuchte, sich auf ihr Schiffsteil zu ziehen, aber es sank immer und rutschte weg. Ramis gab es schließlich auf, stattdessen bewegte sie sich, um warm zubleiben, bis sie auch dazu keine Kraft mehr hatte. Sie erfuhr nie, wie lange sie eigentlich im Wasser getrieben war, die Stunden ließen sich in ihrer Situation nicht mehr zählen.
Offenbar war Ramis bewusstlos geworden, denn sie konnte sich nicht erinnern, das Schiff kommen gesehen zu haben. Ebenso wenig hatte sie gemerkt, dass der Mann, der sie gerade eine Leiter hoch schleppte, Ramis aus dem Wasser gefischt hatte. Das Gerüttel hatte sie wohl erst geweckt. Über sich erkannte sie verschwommene Gesichter, die sich neugierig über die Reling beugten. Der Mann, der sie um die Hüfte gepackt hielt, brachte Ramis auf Deck. Auch dort ließ er sie nicht los, natürlich sah er, dass die Schiffbrüchige sich nicht auf den Beinen würde halten können. Jemand sprach sie an, sie konnte
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