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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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jetzt auch nicht, aber das konnte der Dieb nicht wissen. Immerhin, es war alles, was sie noch hatte. Sie spürte eine sachte Bewegung an ihrer Hand und schon hatte man ihr das Bündel entrissen. Aus den Augenwinkeln sah sie gerade noch einen kleinen Jungen, der mit ihren Habseligkeiten davonrannte.
    "Halt!" , schrie sie. "Gib es mir wieder! Das gehört mir!"
    Sie verfolgte ihn, aber der Junge war sehr schnell, außerdem war er nicht müde. Ramis raffte ihre Röcke und rannte, was sie konnte. Eine durchgescheuerte Stelle an ihrem Schuh machte sich schmerzhaft bemerkbar. Der Junge war ziemlich klein und mager. Vielleicht hatte er noch mehr Hunger als sie, aber das gab ihm nicht das Recht, ihren einzigen Besitz zu stehlen! Der zerzauste Haarschopf verschwand um eine Ecke und als sie dort ankam, war er nicht mehr zu sehen. Außer Atem suchte sie ihn unter den Passanten - vergebens. Eine Weile klapperte sie die Straße und ihre Seitengassen ab, dann gab sie es auf. Ihre letzten Andenken waren verloren. Niemals würde sie einen der Straßenjungen wieder aufspüren können. Erschöpft ließ sie sich auf den Boden sinken.
    Müde schaute sie dem Treiben der Stadt zu. Es wirkte auf sie gar nicht mehr fröhlich und bunt, im Gegenteil, es erdrückte sie nun. Sie war unendlich einsam und ohne ein Ziel verloren. Martha hatte Unrecht gehabt, sie würde auch hier sterben müssen. Es wurde bereits Abend, die Sonne ging unter und sie hatte keinen Schlafplatz. Ihr graute davor, auf der Straße zu übernachten. Die Wirklichkeit schien bereits wieder zu verschwimmen, denn sie hörte einen Geist. Jemand nannte ihren Namen. Jetzt rufen sie mich zu sich. Es konnte sich nur um eine Erscheinung handeln. Unglücklich fuhr sie sich über die Augen. Dann schrak sie heftig zusammen. Jetzt sah sie den Geist sogar schon!
    "Ramis!" , sagte er. "Was machst du denn hier? Ich glaube, so einen Zufall gibt es nicht! Warum schaust du, als wäre ich der Teufel in Person?"
    "Meine Güte, Lettice, wie bist du gestorben? Kommst du, um mich zu holen?" , flüsterte sie vorsichtig.
    "He, was ist los? Ich bin doch nicht tot. Bist du noch ganz normal?"
    "Bist du kein Geist?"
    "Natürlich nicht! Sie haben ja schon immer gesagt, du hättest nicht alle Tassen im Schrank und anscheinend hatten sie recht. Doch was für ein Zufall! Das kann nur Schicksal sein!"
    Ramis schüttelte ungläubig den Kopf. Sie starrte Lettice an, ganz und gar nicht überzeugt, dass Lettice leibhaftig vor ihr stand. Allerdings waren die Erscheinungen in ihren Wahnvorstellungen nie so resolut wie Lettice aufgetreten. Auf jeden Fall war Lettice beträchtlich gealtert. Sie sah verbraucht und müde aus. Von ihrer einstigen schelmischen Art und fröhlichen Koketterie war nichts mehr geblieben. Ein rotes, anrüchiges Kleid bedeckte ihren Körper nur unzureichend, es war auch nicht in bestem Zustand. Ihre Augen und Wangen waren entsetzlich stark geschminkt. Insgesamt machte sie einen sehr heruntergekommenen Eindruck. Schüchtern berührte Ramis die Frau, um sicher zu sein, dass sie kein Geist war. Sie fühlte sich beruhigend fest und warm an.
    "Was ist mit dir passiert?" , fragte Ramis leise. "Du siehst krank aus."
    Lettice letzter Schwung fiel in sich zusammen und damit erinnerte sie wieder an ein junges Mädchen, dem man das Leben gestohlen hatte.
    "Ach Ramis ", meinte sie mit einer Traurigkeit, die man ihr früher nie zugetraut hätte. "Das Gleiche könnte ich auch dich fragen. Man könnte meinen, du seist gerade aus einem Grab emporgestiegen."
    Ramis rang sich ein Lächeln ab.
    "So fühle ich mich auch, das kannst du mir glauben. Und ich fürchte, dorthin werde ich bald gehen müssen."
    "Warum denn das?"
    Unwillig schüttelte Ramis den Kopf.
    "Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll."
    "Weißt du was, komm doch erst mal mit mir. Dann überlegen wir zusammen, was du tun kannst."
    Ramis seufzte erleichtert auf. Lettice schien ein wahrer Engel zu sein.
    "Übrigens, wie hast du mich gefunden?" , wagte sie zu fragen.
    "Das hast du meinem Sohn, dem kleinen Gauner, zu verdanken."
    "Deinem Sohn?"
    "Ja, ich denke, du bist ihm schon begegnet." Lettice winkte mit einer Hand in Richtung einer Ecke und befahl: "Junge, komm hierher!"
    Obwohl niemand antwortete, erschien kurz darauf ein mürrisch dreinblickender Junge mit einem wilden Haarschopf, an den sie sich sehr gut erinnerte.
    "Du hast meinen Beutel gestohlen!" , schrie sie ihn an, worauf der kleine Junge sich misstrauisch einen Schritt

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