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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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drin."
    "Für mich schon." Ramis stand auf. Der Blick des Kindes störte sie.
    "Du redest im Schlaf und stöhnst."
    "Ach, lass mich doch endlich in Ruhe. Ich will mich jetzt umziehen."
    Seufzend betrachtete sie ihre zerschlissenen Kleider in dem milchigen Spiegel. Sie sahen aus, als hätte sie darin geschlafen – was sie ja auch über Tage hinweg getan hatte – und die Reise hatte sie zu Lumpen gemacht. Ramis besaß aber keine anderen. Und sie bezweifelte, dass Lettice ihr behilflich sein konnte. Sie hatte deren Kleider gesehen und die anderen waren vermutlich auch nicht viel besser. Ramis fielen allerdings die vielen Truhen und kaputten Kommoden ein, die um sie herumstanden. Sofort machte sie sich an die Arbeit, sie zu durchsuchen. Sie stieß auf allerlei Zeug, das nicht mehr gebraucht wurde: Kaputte Töpfe, nicht mehr verwendbare Kleidung und noch viel mehr.
    "Das ka nn man nicht mal mehr verkaufen", erklärte ihr der Junge unaufgefordert.
    Sie kümmerte sich einfach nicht um ihn und wühlte weiter. Schließlich entdeckte sie ein gräuliches Hemd mit einem langen R iss, das einmal weiß gewesen sein musste und ihr bis zu den Knien ging, dazu eine alte Matrosenhose aus braunem Stoff. Ramis verbrachte den Vormittag damit, sie fachkundig zu flicken und Edward wurde es bald zu langweilig, so dass er sich verzog. Ramis ekelte sich vor dem ungewaschenen Stoff, als sie die Sachen anzog. Trotz ihres Lebens als einfaches Dienstmädchen hatte sie Lebensbedingungen der armen Leute immer verabscheut. Der allgegenwärtige menschliche und tierische Dreck erregte bei ihr Übelkeit und sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. Ramis musste die Hose immer noch einige Male umkrempeln und das Hemd mit einer Schnur bändigen, um überhaupt laufen zu können. Als sie konzentriert in den Spiegel starrte, um etwas erkennen zu können, musste sie über ihre seltsame Aufmachung lachen. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Lettice krimineller Sohn schaute wieder herein.
    "Du siehst komisch aus ", stellte er fest.
    Du aber auch, erwiderte sie im Stillen. Edwards Haare sahen aus, als würden sie weder geschnitten, noch gekämmt. Ramis wusste nicht, wie sie mit Kindern umgehen sollte, aber das war nicht verwunderlich, denn sie konnte mit niemanden richtig umgehen.
    "Woher kommst du?" , wollte er neugierig wissen.
    "Aus London."
    "Kennst du Mutter daher?"
    Ramis nickte.
    "Sag mal, wie alt bist du eigentlich?" , setzte sie nun ihrerseits an.
    Edward schnitt eine Grimasse.
    "Weiß ich nich ‘ so genau. Es interessiert eh niemanden."
    "Doch, mich. Sonst hätte ich nicht gefragt."
    Erstaunt sah er sie an. "Du klingst wie eine Tante, obwohl ich nie eine hatte."
    Ramis musste grinsen.
    "Du bist doch sicher sechs Jahre, oder? Deine Mutter ging fort, als sie dich trug."
    "Warum grinst du?" , bohrte er nach.
    "Nun ja, bis jetzt hat mich noch nie jemand mit einer Tante verglichen."
    "Ich finde, du siehst genau aus wie eine. Tanten sind komisch, aber sie machen immer wertvolle Geschenke und bringen Süßigkeiten."
    "Du scheinst sehr genau Bescheid zu wissen, wie eine Tante sein muss. Woher willst du wissen, dass ich dir Geschenke bringe?"
    Er zuckte die Achseln. "Weiß ich halt."
    "Ich habe aber nichts, um Geschenke zu kaufen."
    Der Junge trat vor sie und fasste sie am Ärmel. In seiner Kindermiene lag eine seltsame Dringlichkeit, die so gar nicht zu seinem bisherigen Verhalten passen wollte.
    "Ich will aber trotzdem, dass du meine Tante bist. Meine Mutter hat nie Zeit für mich. Aber du bist nicht wie sie und die anderen Frauen. Du bist..." Er überlegte angestrengt.
    "Ja, was?"
    "Na ja, wie eine Tante eben. Du bist doch meine Tante, oder?"
    Ramis fühlte Rührung in sich aufsteigen. Noch nie hatte jemand ihren Beistand gewollt. Der Junge vor ihr war gerade erst sechs Jahre alt und schon so auf sich gestellt. Sie verstand die Einsamkeit, die er gewiss empfinden musste, verbarg er sie auch noch so sehr. Erst später würde er in das Alter kommen, in dem er sich völlig verschließen würde.
    "Ja, natürlich ", lächelte sie mit dummen Tränen in den Augenwinkeln, die so gar keine Berechtigung zu haben schienen. "Ich wäre sehr gerne deine Tante."
    Edward nickte weise. Ramis hockte sich auf eine der Kisten und sofort schob sich der Junge neben sie. Er roch nach feuchter Straße und ungewaschenen Haaren. Möglicherweise hatte er auch Läuse oder sonstiges Ungeziefer.
    "Weißt du, ich will zur See gehen, wenn ich groß bin. Man kann

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