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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Sie hatte sich bis in die Vororte fahren lassen, wo sie dann den fahrenden Händler ausfindig gemacht hatte, auf dessen Wagen sie jetzt saß. Um ihn zu bezahlen, hatte sie Lady Harriets Ring hergeben müssen, was sicher zu viel für die Mitfahrgelegenheit war, die ihm gar keine Umstände machte, aber Ramis hatte keine andere Wahl gehabt. Vielleicht war es besser so, denn sie wollte nichts mehr, was sie an die Besitzer von Maple House erinnert hätte. Seit sie auf dem Land waren, hatte Ramis Geist sich geradezu geklärt und sie schaffte es, die düsteren Gedanken zu verdrängen. Stattdessen nahm sie ihre Umgebung nun wacher war. Sie wusste ja nicht einmal, wohin sie unterwegs waren, das Ziel war anfangs nicht wichtig gewesen, Hauptsache, es war weit weg von London.
    Umso weiter sie sich von der Hauptstadt entfernten, umso unglaublicher schienen Ramis die Ereignisse, die ihr Leben einmal mehr auf den Kopf gestellt hatten. Gerade noch hatte sie in der Düsternis von Maple House gelebt und einige Stunden später saß sie auf einem Karren auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Gerade noch hatte Martha sie verzweifelt in die Arme geschlossen und jetzt war sie allein... Es war einfach zu viel passiert, als dass sie es begreifen konnte. Sie kannte nichts außerhalb von London. Es hätte noch andere Orte geben sollen, aber sie waren von Nebeln umgeben. An ihre erste Reise erinnerte sie sich kaum noch. War sie von Westen gekommen oder von Osten, war sie gar über das Meer gefahren? Es war furchtbar, wenn sie das eigentlich wissen müsste, doch es war einfach nicht mehr da. Ihr war, als würde sie träumen und müsste irgendwann aufwachen und dann wäre sie wieder in London. Denn das war die Wirklichkeit gewesen, mochte es auch so grässlich sein. Es war unmöglich, dass sie Martha, Emily und Bonny nie wieder sehen, nie erfahren sollte, wie es ihnen mit ihnen weiterging. Der Himmel war hier so unendlich weit, keine hohen Häuserfassaden grenzten ihn ein. Die Gegend war menschenleer, nur vereinzelt sah man einen Bauer auf dem Feld oder eine Kutsche, die eilig ihres Weges holperte. Ab und zu kamen sie an Dörfern mit niedrigen Häuschen und an prächtigen Anwesen mit großen Parkanlagen vorbei.
    Ramis entspannte sich sichtlich, das Gefühl der Beengtheit fiel von ihr ab. Der Geruch der Natur, den die blühenden Bäume und Blumen verströmten, rief etwas in ihr wach. Sie fühlte sich auf einmal frei wie ein Vogel am Himmel und diese Glückseligkeit hielt den ganzen Tag an. Als sie aber am nächsten Morgen aus der Scheune trat, in der sie übernachtet hatten, regnete es und angesichts des trüben Himmels kehrten ihre Ängste mit aller Macht zurück. Eine tiefe Mutlosigkeit machte sich in ihr breit. Der wortkarge Kutscher war noch mürrischer als zuvor und sagte kein Wort mehr. Der kalte Regen prasselte auf Ramis herunter, als sie weiterfuhren, denn unter der Plane über dem Wagen war kein Platz mehr. Ihre durchweichten Kleider scheuerten auf der Haut. Ramis hob ihr Gesicht in den Regen und ihre Tränen vermischten sich mit den Wassertropfen, die über ihre Wangen rannen. Sie war so schrecklich allein und es gab nichts, worauf sie hoffen konnte.
    Ihre Reise dauerte eine gefühlte Ewigkeit und die meiste Zeit nieselte es. Ramis übertraf den Kutscher sogar noch im beharrlichen Schweigen. Keiner fragte den anderen nach seinem Leben und seinem Ziel. Abends stiegen sie wortlos vor einer Scheune oder einem Gasthaus ab, um dort zu übernachten. Gegen Ende der Fahrt war Ramis erkältet und hustete ununterbrochen, während ihre Nase lief. Doch auch die trostlosen Tage des Regens endeten irgendwann und Ramis wurde allmählich wieder trocken, das erste Mal seit langem. Bald erreichten sie eine größere Stadt, wo der Händler sie absetzte.
    "Das ist Bristol ", teilte er ihr noch mit. "Von hier aus kannst du weiter auf ein Schiff."
    Ramis betrachtete die Stadt vor sich. Ein breiter Fluss durchschnitt die Stadt und es schien eine wichtige Stadt zu sein, viele Häuser ragten vor ihr auf. Mit dem Wind kam ein merkwürdiger Geruch und Ramis war sich sicher, ihn zu kennen. Sie forschte in ihrer Erinnerung, bis ihr klar wurde, dass es der Geruch des Meeres war, die Luft schmeckte nach Salz und Tang. Sie stellte sich vor, was wäre, wenn sie genau in dieser Stadt geboren worden war und wenn sie hier nun ihre Verwandten treffen würde. Ihre Eltern waren tot, das wusste sie tief im Inneren, und dennoch malte sie sich aus, wie es wäre, wenn sie sie auf

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