Dunkle Häfen - Band 2
grauenhaft!"
Ihr Schluchzen drang Ramis unangenehm laut ans Ohr. Ihr Hirn weigerte sich, die Tatsache zu begreifen. Es kam ihr einfach wie einer ihrer dummen Albträume vor. Benommen schaute sie um sich und entdeckte, dass inzwischen der gesamte Haushalt um sie herum stand. Ihre Gesichter waren ebenfalls gezeichnet von dem Verbrechen, das sie direkt betraf. Sie erwarteten irgendeine Erklärung oder zumindest klare Befehle, was nun zu tun war. Ramis musste sich an die Wand lehnen. Schwäche konnte sie sich jetzt jedoch nicht leisten. Ein Teil von ihr nahm unabhängig von dem Schock die Sache in die Hand und gab die nötigen Anweisungen. Hatte jemand die Polizei verständigt? Sie war schon da gewesen und hatte alles notiert? Wer hatte ihn gefunden? Um alle zu beschäftigen, befahl die Herzogin, dass jeder seine Tätigkeit wieder aufnehmen solle. Erst dann wandte sie sich an die Frau des Majordomus.
"Führt mich zu ihm."
Diese brachte sie hinauf in das Schlafzimmer ihres Mannes. Man hatte ihn auf das Bett gelegt. Ramis trat heran und erwartete, dass er die Augen öffnen und sie anlächeln würde. Aber seine Augen blieben geschlossen, seit sie ihm jemand zugedrückt hatte. Sie nahm seine Hand und knetete sie, in der Hoffnung, noch Leben darin zu finden, ein Funken, den die anderen übersehen hatten.
"Lasst uns allein!" , befahl sie rau.
Leise fiel die Tür ins Schloss. Unendlich langsam zog Ramis sich den Schleier vom Gesicht. Seine Finger waren so kalt. Er musste schon länger tot sein. Das bleiche Gesicht drückte eine seltsame Art von Frieden aus, so als wäre im Schlaf gestorben und nicht brutal aus dem Leben gerissen worden. Vielleicht hatte ihn jemand mit Rücksicht auf sie bereits hergerichtet. Nun fiel ihr auch der rote Fleck auf, der die Binde um seinen Hals durchnässte. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Eigentlich wurde ihr erst in diesem Moment klar, dass er wirklich tot war, nie mehr aufstehen würde. Es war ungeheuerlich. Sie sank neben seinem Bett auf die Knie und legte seine schlaffe Hand an ihre Stirn, als könnte ihm das Leben einhauchen.
"Nein!" , wisperte sie dem Toten zu. "Das kann nicht sein! Steh bitte wieder auf!"
Ihre Worte verhallten ungehört.
Es war ihr unerträglich, wie er da so still lag. Sie dachte nach, sie konnte nicht anders.
Das ist der Fluch... Er hat ihn geholt.
Wenn sie abends zurückgekehrt wäre, wenn er früher gefunden worden wäre, hätte er vielleicht noch gelebt... Wenn, wenn, wenn. Bittere Selbstvorwürfe kamen über sie. Tränen brannten in ihren Augen, doch sie konnte nicht weinen. Alles in ihr war betäubt und schmerzte dennoch so. Und um sie herum die Stille des Todes. Zeit zählte hier nicht mehr.
"Ich liebe dich ", flüsterte sie.
Er hörte sie nicht und hatte die Worte auch nie von ihren Lippen vernommen.
"Viel habe ich dir nicht gesagt. Jetzt ist es zu spät."
Wie eine Schlafwandlerin erhob sie sich und öffnete Guillaumes Schubladen, in denen sie nach einem Messer suchte. Als sie eines gefunden hatte, kehrte sie zum Bett zurück und blickte auf ihn herunter. Sorgfältig zog sie alle Haarnadeln aus ihrem Haar und schüttelte es aus. Dann begann sie mechanisch damit, eine lange Strähne nach der anderen abzuschneiden. Schnell entstand ein Häufchen blonder Haare auf dem Bett. Als auf ihrem Kopf nur noch kurze Haarbüschel standen, strich sie ihm liebevoll über das Gesicht.
"Schlaf gut , mein Lieber."
Es war wie eine rituelle Handlung, ein Opfer. Danach brach sie zusammen und fing an zu schluchzen. Stundenlang saß sie so an das Bett gelehnt. Sie konnte ihren Kummer mit keinem teilen. Er saß fest in ihr und konnte nicht hinaus. Deshalb brachte Weinen keine Erleichterung.
Es ist meine Schuld! schrie es in ihr Ich habe ihn im Stich gelassen! Und alle werden wissen, dass es meine Schuld ist...
Der Schock machte sie wieder hellwach. Natürlich würden sie behaupten, sie sei die Mörderin. Es passte einfach viel zu gut zusammen. Ach, was machte das schon. Sollten sie doch machen, was sie wollten. Sie selbst wollte nur noch allein sein und sich der Trauer überlassen. Henriette stürzte herein.
"Herrin!" , stammelte sie außer Atem. "Sie haben das Haus umstellt! Wachen blockieren die Ausgänge!"
Sie hatten wirklich keine Zeit verschwendet.
"Ich werde sterben ", erklärte Ramis dumpf.
"Madame, wollt Ihr nichts unternehmen?" , schrie Henriette schrill. "Ihr müsst Eure Unschuld beweisen!"
Ramis schaute verklärt durch sie hindurch. Welche
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