Dunkle Häfen - Band 2
ich."
Sie lauschten beide dem Nachhall, konnten es nicht glauben.
Er wunderte sich, warum er das gesagt hatte. Er hatte es nicht beabsichtigt. Nun hatte er etwas zugegeben, was er sich selbst nicht eingestehen wollte. Er hatte immer die Männer verachtet, die sich nur von ihren Gefühlen leiten ließen und ihnen völlig verfallen waren, nun glich er ihnen. Was war nur passiert? Das Begehren eines Mannes konnte schrecklich, schmerzhaft sein. Dauernd musste er sich vorstellen, was er mit ihr machen könnte. Oder war es am Ende doch mehr als das? Vielleicht konnte er damit endlich den Dämon aus seiner Mitte vertreiben, diesen nach Algen und Salz riechenden Geist.
Ramis schwieg eine geraume Zeit wie erschlagen und suchte nach ihrer Fassung. Seine Worte raubten ihr jede Besinnung. Die Gefahr wurde übergroß, doch sie hatte die Kontrolle verloren.
"Bitte... nehmt meine Hand..." , raunte sie.
Er kam zu ihr und nahm ihre Hand in seine. Sie blickte in seine nachtblauen Augen, in deren Tiefe sie längst ertrunken war. Wo war noch der Anfang, wo das Ende dieser Verrücktheit? Aber es konnte kein glückliches Ende nehmen. Sie rannte geradewegs in ihren Tod, denn er würde ihr nicht verzeihen, nicht die Jahre, die zwischen ihnen lagen.
"Lasst mich gehen ", presste sie hervor.
Zu ihrem Erstaunen hielt er sein Versprechen und gab ihr den Schlüssel. Und Ramis floh, nicht nur vor ihm, sondern auch vor ihren Gefühlen, denen sie noch weniger entkommen konnte.
Tagebuch
September 1721, Paris
Unsere Liebe, die keine ist - ich finde keinen Namen dafür - hat keine Zukunft, das muss ich einsehen. Zwischen uns ist für nichts anderes Platz als den Hass, der uns am Leben erhält. Nein, Liebe ist es nicht, es muss etwas viel Unheiligeres sein, denn dieses Gefühl ist aus Hass erwachsen und kann deshalb nur böse sein. Ich sehe ihn und glaube zu ertrinken, keine Luft mehr zu bekommen. Manchmal jedoch ergreift mich ein törichtes Glück und wie eine Törin werde ich für diese Dummheit büßen müssen. Niemand kann mir noch helfen. Ich höre, dass Sir Edward nicht mehr aufhört zu lachen. Er lacht und übergießt mich mit Spott. Muss er sich denn überall einmischen? Er ist tot! Nachts träume ich, dass er mir wieder Gewalt antun will, während hoch über mir Fayford steht. Ich schreie ihm zu, mir zu helfen, aber er hört mich nicht. Ein Strudel zieht mich immer tiefer nach unten, in die Hölle, wobei sich schon die Krallen des Teufels in meine Haut bohren. Und um mich herum schließt sich die Schwärze. Meine Füße brennen bereits und sind zugleich eisig.
Dieser Traum kehrt immer wieder. Die Bilder leben in mir. Einmal träumte ich auch, dass William mit seinem Vater kämpfte. Überall versickerte Blut im Boden und am Ende war einer tot, ich weiß nur nicht, wer.
Unterdessen beobachtet der Hof jeden meiner Schritte, wartet auf einen Fehler der 'Favoritin'. Wahrlich, eine seltsame Favoritin bin ich! Ich zeige mich auf eine gedankenlose Art dem König sehr offen gegenüber und er schenkt mir wieder seine Zuneigung. Meine Position scheint wieder gefestigt und nichts kann daran rütteln. Dennoch bin ich so unaufmerksam, dass mir kaum aufgefallen ist, dass die Comtesse wieder da ist. Entweder sie verhält sich überraschend ruhig oder ich bin einfach zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Doch inwiefern soll sie mich jetzt noch gefährden? Ihre alte Macht scheint unwiderruflich verloren. Wenn sie alle wüssten, dass ich kurz davor stehe, alles zu verlieren! Meine Position, meinen Platz in der Welt, meine Familie, mein Leben... Und ich kann dem nicht ausweichen, weil mir meine Lügen und Täuschungsmanöver über den Kopf gewachsen sind. Mit jedem Tag sind sie gewaltiger geworden, bis ich mich selbst darin verstrickt habe. Und, was ist jetzt? Jetzt kann ich nicht mehr hinaus, bin gefangen.
Sturz ins Leere
Das Haus des Marquis stand beinahe am anderen Ende der Stadt. Ein Vorfahr, der mit dem König im Clinch gelegen war, hatte es möglichst weit weg von der Residenz errichtet. Seine Nachkommen befanden es nicht für nötig, etwas daran zu ändern, auch wenn es sehr umständlich war und man lange brauchte, um in die wichtigen Zentren der Stadt zu gelangen. D er Marquis machte jedoch ebenso wenige Anstalten umzuziehen wie seine Vorgänger.
"Zu umständlich ", pflegte er zu sagen, wenn man ihn darauf ansprach. "Ich bin sowieso kaum zuhause."
Heute allerdings saß er zusammen mit Ramis in dem alten Salon. Die
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