Dunkle Häfen - Band 2
erinnerte er an einen jungen König und ebenso trug er die Bürde mit Würde. Solche Menschen waren schon als Kinder kleine Erwachsene und verbargen ihre Einsamkeit hinter einer hoheitsvollen Haltung. Dieser da hatte mit neun Jahren seine Mutter verloren. Fayford konnte ihn nur ansehen, sein Fleisch und Blut. Sein Erstgeborener, wenn man so wollte.
"Werdet Ihr mir helfen?" Die kühle Stimme war unnahbar, schien zu sagen, dass der junge Mann niemand em gehöre, niemanden brauche.
"Was erwartet Ihr eigentlich? Mein halbes Leben habe ich alles daran gesetzt, sie dort zu sehen, wo sie ist. Sie bekommt nur, was sie verdient."
Fayford hatte das Gefühl, dass dieser Junge ihm alles entreißen wollte, woran er sich geklammert hatte. Das machte ihn wütend und erbarmungslos.
"Ihr verschwendet nur Eure Zeit. Ich werde Eurer Mutter nicht helfen. Es macht jetzt ohnehin keinen Sinn mehr, wie ich bereits gesagt hatte. Verschwindet, oder ich rufe die Wachen!"
Die Miene des jungen Mannes - seines Sohnes - wurde hart.
"Ich sehe, ich habe Euch richtig eingeschätzt. Ihr seid sogar noch grausamer, als ich dachte. Ich hasse Euch, gerade weil Ihr mein Vater seid. Ihr seid der Mensch, den ich auf dieser Welt am meisten verabscheue. Merkt Euch, dass ich Euch den Tod meiner Mutter niemals verzeihen werde. Ich habe ihr Tagebuch gelesen. Sie hat viele Fehler gemacht, doch kaum einen dürfte es mehr gereut haben. Es ist fast ein Verrat, das zu sagen, aber sie beklagte stets, was ihr mit Euch passiert war. Sie widmete Euch viele Gedanken. Aber Ihr habt sie ins Verderben gestoßen. Trotz allem hat sie ihr gutes Herz bewahrt, etwas, das Ihr nie hattet. Ihre Verbrechen mögen unverzeihlich sein, doch Eure noch viel weniger. Einmal will ich Euch noch bitten, ihr das Leben zu schenken. Ich werde die ganze Nacht in der Nähe Eures Hauses sein und warten. Ansonsten sehen wir uns morgen vor dem Galgen wieder."
Damit setzte der Pirat seinen Hut wieder auf und verschwand ebenso unauffällig, wie er gekommen war, ohne noch einmal einen Blick zurückzuwerfen.
Lord Fayford stand noch lange an der gleichen Stelle und rührte sich nicht. Er fühlte sich irgendwie betrogen. Und er hatte nicht einmal gefragt, wie sein Sohn hieß.
Einsame Seelen
Irgendwo schrie jemand ununterbrochen, schrill und in seiner eigenen Welt des Wahnsinns gefangen, aus der es kein Entrinnen gab. Um Ramis herum waren nur der Schmerz ihrer Wunden und diese Laute. Wie aus einem Albtraum kamen ihr ständig die Bilder der Auspeitschung in den Sinn. Gleich Fieberträumen quälten sie Ramis. Als es vorbei war, war ein Mann in ihre Zelle gekommen, der sich um sie gekümmert hatte und ihr schmerzstillende Mittel gegeben hatte. Auch ein Geistlicher war hereingekommen, damit sie notfalls ihr Gewissen erleichtern und ein Geständnis ihrer Schuld abgeben konnte, um Verzeihung zu erlangen. Sie hatte sich gewundert, warum man sich so viel Mühe mit ihr gab, nachdem sie ohnehin nicht mehr zu retten war. Man hatte sie sogar in eine eigene Zelle gebracht. Jetzt aber war die Wirkung des Mittels verschwunden und außer dem Brennen nahm sie fast nichts mehr wahr. Sie schrie auf, als sie einen starken Druck an ihren Schultern verspürte. Eine kühle Flüssigkeit ergoss sich in ihren ausgedörrten Hals. Langsam ließen der Schmerz und das Pochen nach. Jemand hob sie hoch und trug sie davon. Mühsam hob sie die Augenlider, benebelt von der neuerlichen Arznei. Matte Überraschung machte sich in ihr breit.
"Fayford..."
"Schhh. Ich helfe dir, keine Angst..."
Kühl strich die Nachtluft über ihre heißen Wangen, als sie nach draußen kamen. Sternenübersäter Himmel über ihr, wie in der Nacht, als Thomas starb. Ramis versuchte, wach zu bleiben, aber die Nebel senkten sich über sie... Wach bleiben, sonst versinkt alles in Vergessen...
"So können w ir sie unmöglich transportieren", hörte sie noch Fayford sagen.
Eine andere, geliebte Stimme antwortete. Es war...war...ihr fiel nichts mehr ein...
Der wieder eintretende Schmerz ärgerte Ramis. Sie hatte so schön geschlafen... Aber sie war noch so müde... Selbst die Zelle hatte sich verändert. Der erste Mensch, den sie sah, war der Lord. Er näherte sich sofort, als er merkte, dass sie wach war. Wortlos setzte er sich an die Bettkante und betrachtete sie. Ihr fiel auf, dass sie in einem sauberen, weichen Bett lag.
"Wie fühlst du dich?"
"Als hätte man mich ausgepeitscht. Ich habe nie gewusst, was die armen Kerle durchmachen müssen,
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