Dunkle Häfen - Band 2
auf sein Gegenüber richtete. Doch der Mann schien unbewaffnet zu sein.
"Keine Bewegung!" , warnte Fayford.
Der andere rührte sich auch jetzt nicht und sprach auch kein Wort.
"Wie seid Ihr hereingekommen? Und was wollt Ihr?"
"Durch ein offenes Fenster. Eu re Wachen sind unaufmerksam." Der Fremde hatte eine junge Stimme, ungeschliffen und doch volltönend.
Eine leichte Handbewegung lenkte James Aufmerksamkeit auf die Hände des Mannes, sie waren jedoch leer. Dem Lord fiel auf, dass sie tief gebräunt und rau waren. Einige lange Narben zogen sich über den ganzen Handrücken. Jetzt roch er auch das Salz, diesen meerigen Geruch, der sich in Haaren und Kleidung verfing.
"Ihr seid Seemann." Es war keine Frage.
Trotzdem kam ein leichtes Nicken von dem Unbekannten.
"Und was wollt Ihr jetzt hier?"
"Ich komme, um etwas von Euch zu erbitten." Es konnte dem Mann nicht leichtgefallen sein, das zu sagen, denn ungebärdiger Stolz schwang in seiner Stimme mit.
Ein Pirat, schoss es Fayford durch den Kopf. Ja, er ist einer dieser Verbrecher. Um ihn herum war diese illusionäre Freiheit, dieser Hauch des Abenteuers und obwohl er dem gewöhnlichen Piraten kaum ähnelte, so entsprach er doch dem romantischen Bild des Freibeuters. Er wusste plötzlich, weswegen er gekommen war.
"Und was, Pirat?" , fragte er unwirsch.
Dass der Mann die Bezeichnung 'Pirat' ganz selbstverständlich annahm, bestärkte James in der Annahme, dass er ein ebensolcher war.
"Ihr könnt Euren Degen wegstecken. Ich werde Euch nicht angreifen. Das ist nicht meine Absicht."
"Denkt Ihr, ich würde einem von Euch vertrauen? Was ist nun Eure Absicht? Beeilt Euch, bevor ich Euch festnehmen lasse, ohne Euch anzuhören."
Der Hut hob sich ein Stück, so dass man das bartlose Kinn, nicht jedoch den Rest, erkennen konnte.
"Ich möchte um das Leben einer Frau bitten. Ja, Ramis. Ihr habt sie hierher gebracht, das habe ich von Eurem Kammerdiener erfahren."
"Ihr beschattet mich also? Warum?" , fragte er scharf "Und was habt Ihr denn mit diesem Weib zu schaffen?"
Ein Zucken lief durch den Körper des Besuchers.
"Ich ahnte, dass ich sie am ehesten über Euch wiederfinden würde, deshalb ließ ich Euch beobachten. Bitte, Mylord, übergebt sie mir. Ich weiß, Ihr habt die Macht. Ich würde Euch alles dafür geben. Nehmt mein Schiff, all mein Geld und mein Leben."
Ein verächtliches Schnauben antwortete ihm. Der Junge wusste noch nichts von ihrer Bestrafung.
"Dafür dürfte es bereits zu spät sein. Morgen wird sie hingerichtet. Und sie ist in keinem guten Zustand."
"Ihr..." Die Fäuste des jungen Mannes ballten sich.
Unwillkürlich machte er einen Schritt auf ihn zu. Fayford hob den Degen und schüttelte dabei den Kopf.
"Bleibt stehen. Das Gericht hat geurteilt und daran gibt es nichts anzuzweifeln."
"Das Gericht besteht auch aus Menschen, die korrupt und verlogen sind. Sie habe nicht das Recht, über meine Mutter zu urteilen."
"Eure Mutter ? Ihr seid Ihr Sohn?"
"Ja."
Seltsam, Fayford hatte nicht gewusst, dass es außer dem Schwarzschopf noch einen Jungen auf dem Schiff gegeben hatte und auch dieser Verbrecher war vor einigen Jahren getötet worden. Talamara hatte nie einen anderen erwähnt. Der Lord fand seine Beherrschung nach dieser Überraschung schnell wieder
"Eigentlich sollte es nicht unerwartet sein", meinte er. "Dieses Weib hat sich ja von genug Männern rammeln lassen."
"Nur von einem." antwortete der Junge ruhig. "Von Euch nämlich, Mylord."
"Was zum -"
"Genau. Deshalb bitte ich Euch um diesen Gefallen... Vater."
Der Pirat zog den Hut herunter und enthüllte ein merkwürdig bekanntes Gesicht und sehr dunkle Haare.
Regungslos starrte Fayford in das junge Gesicht, unverkennbar sein eigenes in seiner Jugend. Kein Zweifel, der Kerl sagte die Wahrheit. Achtzehn Jahre musste er sein.
"Zum Teufel! Ich hatte ja keine Ahnung..."
"Was, dass sie mit mir gestraft worden ist?" Ein heiseres Lachen.
Der Lord nahm sich zusammen. Die Neuigkeit hatte ihn kalt erwischt. Niemals hätte er an diese Möglichkeit gedacht, an diese Folge der wirren Nacht. Und da stand er jetzt und ihm war, als blicke er selbst zwanzig Jahre jünger in einen Spiegel. Sein und Ramis Sohn... Er hatte nur wenig von seiner Mutter, hier und da in seinen Gesichtszügen, in seinem Lachen lag ihr Erbe. Doch er hatte eine höchst ungewöhnliche Reife an sich, wie sie nur jemand haben konnte, der schon von Kindesbeinen an gelernt hatte, Verantwortung tragen zu müssen. Deshalb
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