Dunkle Häfen - Band 2
aussprechen, dazu war sie noch imme r unfähig, am allerwenigsten William gegenüber. Dieser Erwachsene da vor ihr trug die Verantwortung, als wäre sie ihm von Gott höchstpersönlich auferlegt worden, so selbstverständlich gehörte sie zu ihm. Er war der geborene Anführer, mit Leib und Seele Pirat und in dieser Welt hatte sie, seine Mutter, keinen Platz mehr. Er hatte sie schon begraben und wusste nun nichts mit ihr anzufangen, da sie noch lebte. Auf seinem Kopf thronte ein großer Hut, der Schatten auf das markante Gesicht warf, von Sonne und Wind gestrafft. Wie sein Vater musste auch er die Bewunderer und Verehrerinnen in Schwärmen anziehen, er hatte etwas äußerst Ungezähmtes. Seine Haare trug er bloß, nur zu einem Zopf zusammengebunden. Eine Welle der Bitterkeit erfasste sie. Sie hatte ihr Kind verloren. Fanny war tot, gewissermaßen durch ihre Schuld. Edward war tot, Martha auch. Ebenso Guillaume. Alle anderen auch fort, unerreichbar. Es gab hier niemanden, dem Ramis noch etwas bedeutete. Der Mann vor ihr betrachtete sie nur distanziert kühl. Sie hatte ein Enkelkind, das sie nie sehen würde, denn er würde nicht sagen, in welchem Kloster es war. Nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge war.
"Hast du deinen Vater kennen gelernt?" , fragte sie vorsichtig.
"Ja, das habe ich gezwungenermaßen! Ich habe mich vor ihm im Dreck gewälzt, um deine Freilassung zu erwirken! Was für ein reizender Mensch, dem du dein Leben verschrieben hast!" Der blanke Hohn traf sie wie Schlag.
"Warum behandelst du mich so, William? Habe ich das wirklich verdient? Ich will doch nur, dass wir uns wieder so lieben können wie früher!"
"Nichts ist mehr wie früher!" , gab er zurück. "Erwartest du denn, dass wir uns nach so langer Zeit in die Arme schließen wie der Vater den verlorenen Sohn in der Bibel? Komm endlich in die Realität zurück! Es sind sieben lange Jahre vergangen, seit du verschwunden bist, falls es dir entgangen ist! Ich bin ein anderer geworden. Ich musste ohne Mutter oder Vater auskommen. Und ich musste weiterleben, wo andere den Tod wählten, weil sie dich so sehr liebten! Du warst nicht dabei, als Fanny nach mehreren Jahren ununterbrochener Trauer starb und du hast nicht Edwards letzten Brief gelesen, verdammt noch mal! Sag nie wieder, es könnte wie früher werden!" Jetzt brüllte er.
Zum ersten Mal zeigte er Gefühle. Das fand Ramis noch schlimmer, seine Worte verletzten sie bis ins Mark, versetzten einem Teil von ihr den Todesstoß.
"Nein!" , schrie sie nun ebenfalls. "Aber ich habe jeden Tag mit dem Wissen um die Schuld an Eurem Leid gelebt! Auch ich musste von Edwards Tod erfahren und es hat mich fast umgebracht! Du kannst mir viel vorwerfen, aber nicht, dass ich die beiden nicht geliebt hätte!"
Sie vergaß ihren körperlichen Schmerz und rannte davon. Am liebsten wäre sie einfach über Bord gesprungen. Also warf ihr William auch noch Fannys und Edwards Tod vor? Unglücklich kehrte Ramis in ihre Kajüte zurück. Dort merkte sie, dass eine der verschorften Wunden wieder aufgesprungen war. Sie zog das blutdurchtränkte Hemd aus und schaute sich die Bescherung in dem alten Spiegel an, der an die Wand genagelt war. Ihr Rücken saß immer noch grässlich aus. Alles war rot und mit getrocknetem Blut verkrustet. Sie wunderte sich immer noch, wie sie das überlebt hatte. Wie verrückt, dass Fayford sie zuerst in diese Situation gebracht und anschließend wieder gerettet hatte, indem er ihr einen Arzt schickte und sie aus dem Gefängnis schmuggelte. Aber nach Fayfords eigenen Angaben war erst die Begegnung mit William nötig gewesen, damit er seine Meinung änderte.
Ramis wusste nicht, was richtig war, doch im Nachhinein sollte es ihr nichts mehr bedeuten. Was es natürlich dennoch tat. Eigentlich hätte sie jetzt jemanden rufen sollen, der ihr neue Verbände anlegte, sie wollte allerdings nicht, dass jemand sie entblößt sah. Zu tief saß noch der Schock, als man ihr bei der Auspeitschung einfach den Kittel aufgerissen hatte. Auch William wollte sie nicht darum bitten. Vor allem hätte sie es nicht ertragen können zu sehen, wie er sich verlegen von ihr abwandte, als sei der Körper seiner Mutter, der ihn geboren hatte, etwas Schändliches. Und irgendwann legte sich die Blutung ja wieder von selbst, nur musste Ramis dazu sehr lange still auf dem Bauch liegen. Danach fühlte sie sich seelisch gestärkt, die Zeit hatte ihr Gelegenheit gegeben, sich zu sammeln. Sie beschloss, das Beste aus der
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