Dunkle Häfen - Band 2
nötig war, vor mir eine Maske aufzusetzen? Er forderte Madame de Maintenon und mich auf, uns zu ihm zu setzen. Mich platzierte er ihm gegenüber, seine Frau ließ sich neben ihm nieder. Louis XIV musterte mich mit seinem durchdringenden, wenn auch müden Blick. Sein ganzes Leben lang hatte er Menschen um sich gehabt, deren wahre Absichten er durchschauen musste und die ihn skrupellos verraten würden. Ich fürchtete, er würde sofort die Lügnerin in mir erkennen. Mir dagegen wurde bei seinem Anblick klar, welch schwere Bürde die Königswürde eigentlich ist. Zwischen diesem ganzen Luxus und Müßiggang arbeitete dieser Mann sehr hart, selbst wenn er krank war. An diesem Tag sah ich zum ersten Mal den Menschen im König. Bisher hatte ich einen König bestenfalls als einen unerreichbaren Monarchen angesehen, im schlimmsten Falle jedoch als Massenmörder, der seine Leute bedenkenlos in den Krieg schickt, um seine Würde und Macht zu wahren, einen Willkürherrscher, dessen Leben mehr wert ist als das von Tausenden. Nun da Louis mich direkt ansprach, mir in die Augen blickte, konnte ich sehen, dass es noch eine andere Seite gab. Dieser legendäre und mitunter sehr verhasste Monarch, der als 'Sonnenkönig' eine ganze Epoche geprägt hatte, war eigentlich wie viele andere alternde Menschen auch, die am Ende ihres Lebens standen. Und nie hätte ich erwartet, dass er so freundlich sein könnte und sich nach meinem Befinden erkundigte, als würde es ihn wirklich interessieren. Ich antwortete in meinem stockenden Französisch und schwieg dann abwartend.
Schließlich meinte er: "Wir haben erfahren, wie sehr Ihr Euch für diesen kleinen Vogel eingesetzt habt. Ihr mögt die Geschichte erzählen." Seine Aussagen habe ich rekonstruieren müssen, da ich den genauen Wortlaut nicht verstanden habe.
Ich staunte nicht schlecht. Ich war ja auf einiges vorbereitet gewesen, doch dem König eine zugebenermaßen banale Geschichte erzählen? Abwartend blickte man mich an und ich zögerte wohl ungebührlich lange. Nach einigem Überlegen räusperte ich mich und begann einfach:
"Äh, heute Morgen lud mich der Marquis d'Agny zu einer Kutschfahrt ein und wir wollten im Freien speisen..."
So fuhr ich stockend fort und suchte nach den französischen Worten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es meine beiden Zuhörer fesselte, wie ich erzählte, aber seltsamerweise schien es dem König zu gefallen und er lächelte. Besonders amüsant fand er, dass ich einfach mitsamt meinen Kleidern ins Wasser gegangen war. Auch als ich geendet hatte, wurde ich nicht entlassen, sondern hatte weiter zu plaudern. Mit dem Fortschreiten des Gesprächs entspannte ich mich allmählich und redete ungezwungener. Bald schaltete sich auch Madame de Maintenon in das Gespräch ein, wodurch ich allerdings Schwierigkeiten bekam, ihr und dem König zu folgen, wenn sie miteinander sprachen. Als sie dann wieder auf meine angebliche Vergangenheit und die französischen Verwandten - die trotz der Suche des Marquis wie vom Erdboden verschluckt worden zu sein scheinen - zu sprechen kam, versteifte ich mich sofort und danach kam das Gespräch nicht mehr so recht in Gang; ich wich argwöhnisch jeder Anspielung aus. So beendete der König es einige Zeit später mit der Frage, ob es mir hier auch wirklich an nichts fehle. Ich versicherte noch einmal, es sei alles bestens und bedankte mich artig für die Großzügigkeit, die man mir hier erwies. Einen Moment war ich drauf und dran, zu sagen, dass ich fortwolle, um selbst nach diesen Verwandten meines Mannes zu suchen, doch ich wusste nicht so recht, ob der Herzog von Orléans in diesem Fall seine Drohung ebenfalls wahrmachen und mich der Gerichtsbarkeit ausliefern würde. Es wäre falsch, sich einzubilden, dass ich jemandem in Versailles teuer genug war, dass er mich als Hochstaplerin und Diebin vor dem Galgen retten würde. Deshalb verabschiedete ich mich, ohne etwas in dieser Richtung gesagt zu haben.
Höflich öffnete mir ein Diener die Tür und bevor sie sich hinter mir schloss, glaubte ich Madame de Maintenon sagen hören:
"Elle est comme une jeune fille." Sie ist wie ein kleines Mädchen.
Dabei bin ich schon knapp über dreißig. Kaum war ich draußen auf dem Flur ein paar Schritte gegangen, hielt man mich an der Schulter fest. Es war mein neuer Freund, der Herzog von Orléans.
"Schön, Euch m al wieder zu sehen, Madame Anne", raunte er mir ins Ohr. "Ihr habt sicher einiges gehört, was Ihr mir erzählen könnt. Folgt mir,
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