Dunkle Häfen - Band 2
damit wir uns ungestört unterhalten können."
Ich hätte ihm einen Säbel in den Leib rammen wollen. Da ich allerdings in normalen Geisteszustand nicht selbstmörderisch bin und auch keinen bei mir trage, verzichtete ich darauf. Unwillig ging ich hinter ihm her und fragte mich misstrauisch, was er im Schilde führte. Einen seiner Räume kannte ich ja bereits und er brachte mich wieder in diesen.
Ohne mir überhaupt einen Stuhl anzubieten, wollte er auf Englisch wissen:
"Was habt Ihr mit dem König besprochen, Madame Anne? Ich will alles wissen! Und belügt mich besser nicht!"
Gegen meinen Willen lachte ich laut auf.
"Nichts, was Euch interessieren dürfte! Wisst Ihr, ich erzählte dem König eine Geschichte über einen kleinen Vogel, den zu retten ich versucht habe!"
Seine Miene verfinsterte sich.
"Wagt es nicht, Euch zu erdreisten, Madame! Es würde Euch gar nicht gut bekommen!"
Dennoch schien er bereits von dem Vorfall mit dem Vogel gehört zu haben, sonst hätte er mir nicht geglaubt. Vielleicht nahm er trotzdem an, ich hätte das nur als Vorwand benutzt, um mit dem König zu sprechen. Ich weiß nicht, worüber ich mehr staunen soll: Über sein Misstrauen, als wäre ich eine gefährliche Spionin oder Geheimagentin oder darüber, wie so eine Geschichte wie die von dem Vogel ihre Kreise am Hofe ziehen und die königliche Familie aufmerksam machen konnte. Es fehlte nicht viel und das ganze artete zu einem Skandal aus, so zumindest mutmaßte ich. Immerhin entließ mich der Herzog, nachdem er mich anstandshalber - um mich für die Belanglosigkeit meiner Information zu bestrafen - noch eine Weile hatte schmoren lassen. Er hielt mich nun keineswegs für weniger verdächtig, das sah ich ihm an, sondern nur für gewitzter. Eines jedoch war mir selbst klargeworden: Er hatte mich laufen lassen, weil ich für ihn spionieren sollte.
Sobald ich im Zimmer angekommen war, fiel Adélaide über mich her. Auch sie wollte alles über meinen Besuch beim König wissen. Wieder einmal staunte ich, wie schnell Nachrichten hier die Runde machen können.
"Seine Majestät scheint Euch zu mögen", stellte Adélaide anschließend kichernd fest.
"Ich denke nicht , dass man das schon sagen kann", widersprach ich. "Meine Güte, muss man denn aus jeder Mücke gleich einen Elefanten machen?"
"Was?"
Adélaide kannte dieses Sprichwort nicht und ich erklärte es ihr: "Ich meine damit, dass man jede Kleinigkeit gleich als ein furchtbar wichtiges Ereignis einstuft."
"Oh Anne! Das nennt Ihr Kleinigkeit? C'est impossible! Ma chère, glaubt Ihr, der König und Madame de Maintenon rufen jeden hier zu sich? Und Ihr seid doch noch ganz neu hier, habt nicht einmal einen Titel. Ihr müsst eine außergewöhnlichere Frau sein, als es scheint. Ein wenig erinnert Ihr mich sogar an Madame de Maintenon, vielleicht gefällt ihm ja das an Euch."
Ich seufzte vernehmlich. Fand denn die Bewertung einer Frau immer nach ihrem Aussehen statt? Nie konnte ich mich zwischen Menschen bewegen, ohne auf diese verqueren Ansichten zu stoßen. In der Welt beginnt man allmählich von der Gleichheit der Menschen zu reden, doch niemand erwähnt die Gleichheit von Mann und Frau. Warum ist es ganz selbstverständlich, dass die Frau dem Manne untergeordnet ist? An eine natürliche Fügung mag ich nicht glauben, es ist die Ordnung der Männer, damit keine Frau auf die Idee kommt, aus ihrer Rolle auszubrechen. Mit der Wut, die sie auf sich zieht, wenn sie es doch tut, habe ich oft genug Bekanntschaft gemacht. Sowohl Männer als auch Frauen stempelten mich für das Gleiche, das auch Männer taten, als verdorben ab. Hier hält man mich nun für ein unscheinbares Mauerblümchen, wie mir Adélaides Bemerkungen zeigen, trotzdem nehmen noch viele Anstoß an mir. Dass man mich als interessante Gesprächspartnerin betrachten könnte, darauf kam niemand. Außer offenbar dem König, so seltsam das auch war.
November 1714, Versailles
Der Winter ist gekommen. Jetzt, gegen Ende November, ist es kalt geworden und der Regen wird bald dem Schnee weichen. Es gibt kaum noch Sonnentage. In der ersten Zeit fror ich ständig, es ist eben viel kälter als in der Karibik. Meine Garderobe speichert die Wärme auch nicht, sie ist nur für die Schönheit geschneidert. Zu dieser Jahreszeit finden die Abendgesellschaften nur noch drinnen statt, man versammelt sich zu Konzerten und Festlichkeiten in den verschiedenen Sälen, was jedoch immer seltener wird. Ein dunkler Schatten hängt über
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