Dunkle Häfen - Band 2
beiden Frauen zu seinen Räumen bringen. Dort war in der Tat alles in heller Aufregung, als wir eintraten. Louis' Erzieherin, die Herzogin de Ventadour, kam uns eilig entgegen. Zum Glück war sie viel zu erleichtert, um böse zu sein. Der Junge schien seinerseits sehr an ihr zu hängen.
"Was für eine Aufregung!" , sagte sie zu uns. "Sonst läuft er nicht einfach weg, er ist ein braver Junge."
Adélaide warf mir nur einen Blick zu, aber zu meiner Erleichterung verfolgte keiner die Sache weiter.
Januar 1715, Versailles
Die grauen Wintermonate schleppen sich dahin. Ich werde von Anfällen von Niedergeschlagenheit heimgesucht. Über Weihnachten musste ich das Bett hüten, weil ich mir eine schlimme Erkältung eingefangen hatte. Kaum war ich endlich wieder auf den Beinen, hatte ich erneut den Gesellschaften beizuwohnen. Oft fühlte ich mich weit entfernt und fremd, wenn ich durch die vergoldeten Zimmer und Flure wandelte.
"Das bin i ch nicht, das ist jemand anders", dachte ich mir, sobald ich mich im Spiegel betrachtete.
Doch wer ist Ich überhaupt? Soll ich nun die Ramis, die immer das einzige war, an das ich mich klammern konnte, soll ich diese Identität wieder verlieren und zu Anne werden? Ich wünsche mir so sehr einen Bezugspunkt, etwas, das mir Halt gibt, aber ich fürchte, das kann ich nicht finden. Nach einem Leben voller Dahintreiben, das einfach im Nichts anfängt, kann ich nicht anders, als weiterzutreiben. Es ist zu einem Teil von mir geworden.
Die Schwermut liegt wieder wie eine schwarze Decke über mir. Nachts träume ich von denen, die ich auf immer verloren habe. In diesem Winter spürte ich plötzlich, dass Martha tot war. Ich weiß, dass sie an einem kalten Wintertag inmitten von London gestorben ist, allein und verlassen von ihrer Tochter, die zwischen seidenen Laken liegt und wie ein verzweifeltes Kind in die Kissen schluchzt, die Laute in dem Stoff erstickt. Diese weiß um ihr Versagen. Hat sie denn je einen einzigen, den sie behauptet zu lieben, schützen und vor dem Leid bewahren können? Ich fürchte, dazu bin ich unfähig, das Unglück gehört zu mir. In meiner Brust entstand wieder ein Loch und ich fürchtete mich vor der Eiseskälte der Leere wie als kleines Mädchen. Ich wage kaum noch, vor den Spiegeln zu verharren, denn dann muss ich sehen, wie die Leere in die hellen Augen der eleganten Dame kriecht und alles zu erfüllen beginnt. Schuldgefühle plagen mich, bis ich nur noch schreien will. Ich hoffe, das alles geht vorüber und ist nur eine Stimmung, die die grauen Wintertage auslösen, sonst... Ach, ich weiß nicht, was sonst. Soll ich wieder verrückt werden? In dieser Zeit traf ich manchmal auf den kleinen Louis und seine kindliche Zuneigung bescherte mir zumindest Augenblicke der Freude. Andererseits erinnert er mich in seiner Einsamkeit auch so sehr an Edward, dass es mir fast das Herz zerreißt. Ich habe immer gewusst, dass es falsch ist, sich so an Kinder zu binden, entweder sie sterben oder sie gehen fort. Aber ich konnte damals nicht anders, denn war ich am Ertrinken.
Februar 1715, Versailles
Dunkle, graue Tage. Die Luft in diesem Kokon, der Versailles genannt wird, wird immer stickiger. Ab und zu unterhalte ich mich mit Madame de Maintenon oder auch dem König, doch keine Gesellschaft kann die Leere in meinem Herzen füllen.
Darüber hinaus lebe ich weiter von Almosen, die mir der Marquis oder auch Madame de Maintenon zugestanden haben. Diese hat es sich inzwischen - mit der wohlwollenden Billigung des Königs - zu ihrer Aufgabe gemacht, mich zu unterstützen. Dennoch, ich hasse diese Abhängigkeit und ich werde immer mehr in diese Schuldverhältnisse getrieben. Aus diesem Grund beschränke ich mich auf ähnliche Kleidung wie die der Maintenon, die zwar elegant, aber ziemlich unmodisch ist. Das machte mich bald zur Zielscheibe des Spotts, vor allem dem der Comtesse de Magnon. Sie nennt mich verschroben und eine hässliche alte Schachtel. Keine Ahnung, warum sie mich so sehr hasst, der Konflikt hat sich allmählich in einen offenen Krieg gewandelt. Ich stehe dabei ganz alleine da, vom Marquis kann ich nicht die geringste Hilfe erwarten. Ich habe ihm inzwischen sogar verboten, den Namen dieser Frau in meiner Gegenwart auszusprechen und er hält sich überraschenderweise daran, denn er schätzt mich inzwischen als Gesprächspartnerin. Er ist ein ungestümer junger Mann, der wie viele seiner Art gerne großspurige Reden führt. Mitunter kann ich eine gute Zuhörerin
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