Dunkle Häfen - Band 2
vernahm jedes seiner Worte deutlich an ihrem Ohr, ohne jedoch ihren Sinn zu erfassen. Ihr Blick wanderte über den Boden und folgte den Staub- und Schmutzspuren darauf und verfing sich ohne Interesse an den Schuhen des Paters. Staub tanzte im hereinfallenden Licht, eine ewigliche Bewegung. Rascheln, Knarren und Hüsteln von hinten, manchmal unterdrücktes Gemurmel. Etwas kitzelte in ihrer Nase und sie musste den Niesreiz unterdrücken. Zum wiederholten Male fragte sie sich, ob diese Entscheidung richtig gewesen war. Hatte sie nicht doch irgendwo eine Wahl gehabt? Es stimmte nicht, wenn man sagte, man habe keine Wahl. Die hatte man immer und sei es, man entschied sich für den Tod. Sie hob das Gesicht, als der Pater die entscheidende Frage an sie richtete. Er war alt, unzählige Fältchen durchzogen seine Haut. Wartend blickte er sie an. Was wäre, wenn sie jetzt 'nein' sagte? Den Gedanken ließ sie allerdings bald wieder fallen.
"Ja."
Damit war es besiegelt.
Über ihren Finger wurde ein schwerer Ring gestreift und sie war die Herzogin de Sourges. Am liebsten hätte sie geschrien. Was fing sie denn nun mit einem weiteren Namen an, wo sie doch schon so viele gehabt hatte? Sie wollte ihren eigenen, ihren ureigensten Namen, den, den sie bei ihrer Geburt erhalten hatte! Um ihre Ruhe war es auf einmal geschehen. Während sie aus der Kapelle begleitet wurde, bereute sie ihre Zustimmung. Auf was hatte sie sich da nur eingelassen! Gut, der Herzog mochte keine Frauen, aber hieß das, dass er nicht gewalttätig ihnen gegenüber war? Nein, diese Hölle würde sie nicht mehr durchschreiten, nie wieder! Trotzdem hatte sie geheiratet...
Dem Rest des Tages schenkte sie keine Aufmerksamkeit. Ein Meer von lächelnden Gesichtern umringte sie. Man brachte sie zu den neuen Gemächern. Gestern Abend hatten sie und Adélaide sich als Zimmergenossinnen verabschiedet. Ihr vertrauliches Getuschel am Abend würde es nun nicht mehr geben. Ramis sollte an der Seite eines Mannes leben. Ihr Magen war schwer wie Blei. Mehrere Frauen schoben sie ins Gemach.
"Macht Euch keine Sorgen ", flüsterte Madame de Maintenon ihr zu. "Es wird Euch nichts geschehen."
Aber die Braut machte sich Sorgen. Von irgendwo fing sie den verzerrten Blick des Marquis auf, Adélaide zerquetschte fast ihre Hand, als sie sie aufmunternd drückte. Dann ware n sie alle verschwunden. Sie blieb allein zurück. Oder doch nicht so allein. Ihr Ehemann, der Herzog de Sourges, war auch noch da. Er stand im hinteren Teil des Zimmers und musterte sie. Ramis rang nach Luft, ihr Korsett schnürte sie ihr ab. Sie starrten sich eine unangenehme Weile an.
"Ihr müsst nicht schauen , als wollte ich Euch umbringen", sagte er schließlich unwirsch. "Ihr wärt dieses Opfer nicht wert. Und Ihr müsst auch nicht glauben, dass Ihr eine unbeherrschbare Glut in mir entfacht. Ich will Euch nicht anfassen!"
Ramis fauchte: "Da bin ich aber froh! Ihr widert mich ebenfalls an!"
Dennoch verletzten seine Worte sie.
"Dass wir Heiraten mussten, ist kein Grund, mich zu beleidigen! Und damit Ihr es wisst, ich wollte Euch auch nicht heiraten! Man hat mich gezwungen!" Ihre Stimme schwankte bedenklich.
Wütend zog sie sich die Blüten aus dem Kopfschmuck und schleuderte sie zu Boden. Der Herzog schwieg eine Weile. Als ihre Blicke sich wieder trafen, hatte sich etwas geändert.
"Ich hatte keine Ahnung, dass man Euch ebenfalls dazu gezwungen hatte. Man hat mir sehr nachdrücklich klargemacht, dass es das Beste für mich wäre, wenn ich Euch ehelichen würde. Wenn das so ist, will ich mich entschuldigen. Ich habe wohl meine Manieren vergessen."
Sie schnaubte bitter.
"Heute war ich tausend Mal nahe daran, meinen Gefühlen Luft zu machen und alles über den Haufen zu werfen. Nun gibt es kein Zurück mehr. Und ich muss Euch sagen, dass ich nie imstande sein werde, eine richtige Ehe zu führen."
Er musterte sie erstaunt. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr so unfreundlich.
"Vielleicht kann man mit Euch doch auskommen. Seid Ihr denn nicht versessen darauf, Kinder und Erben zu bekommen?"
Sie lachte.
"Auf die Erben sind meistens nur die Männer versessen, Monsieur, weniger die Frauen. Die sind oft froh, wenn ihnen das Kindbett erspart bleibt. Der Druck kommt vor allem von außen."
Daraufhin lächelte er und entspannte sich sichtlich.
"Ja, der gesellschaftliche Druck. Der war mir schon immer ein Dorn im Auge. Zum Glück wart Ihr schon verheiratet und niemand wird annehmen, dass Ihr noch Jungfrau
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