Dunkle Häfen - Band 2
erwarten gewesen.
Es wird immer wärmer und an den Abenden werden Gondelfahrten auf dem Kanal veranstaltet. In der samtigen Dunkelheit, die vom Zirpen der Grillen durchdrungen ist, lauert die Sehnsucht und zieht die Liebenden in ihren Bann. Sie hüllt sie ein und verwirrt ihre Sinne und erstickt ihre Vernunft. Sie ist wie ein berauschendes Mittel, das Illusionen erzeugt. Wie könnte man sonst an das glauben, was Verliebte sich erträumen?
Lang lebe der König!
Anfang August, nach seiner Rückkehr aus Marly, erstarrte der Hof angesichts der Hinfälligkeit seines Königs. Die Last des Alters schien ihn zu erdrücken. Da wusste n alle endgültig, diese Ära würde in absehbarer Zeit zu Ende sein. Noch einmal kehrte der Hof zu seinem Glanz zurück, als der neue Botschafter aus Persien Versailles besuchte. Noch einmal legte der König seine prächtigen Gewänder an und ließ seine Krankheit vergessen machen. Noch einmal jubelte man ihm auf dem Balkon zu und noch einmal versammelte er seinen Hofstaat um sich. Ramis stand in einem prächtigen Kleid neben ihrem Mann und betrachtete die fremdartigen Menschen, zu deren Ehren das Fest abgehalten wurde. Sie kamen von weit her. Die Herzogin wurde an die kleinen elfenbeinernen Elefanten und die kostbaren Teppiche erinnert, die sie in Maple House immer bestaunt hatte. Auch ihre Sprache war so exotisch wie die Gäste selbst. Es war ein glanzvoller Abend und Versailles präsentierte sich von seiner besten Seite, wie um seinem alten Mythos gerecht zu werden, lediglich der Herzog von Orléans verhöhnte den König durch unpassend grelle und übermäßig bestickte Kleidung.
Doch nach dem Empfang, am Ende des Monats, war es nicht mehr zu verbergen: Der Sonnenkönig lag im Sterben. Fast bis zum Ende zwang er sich zum Weitermachen, versuchte das Zeremoniell aufrechtzuerhalten und spielte seine merkwürdige Komödie weiter. Er war mit den Jahren ein perfekter Schauspieler geworden. Doch dann zwangen ihn die Schmerzen seines offenen Beines ins Krankenbett. Nichts mehr war mit Jagen und spazieren gehen. Bei seinem letzten Abendessen mit den Höflingen konnte er keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. Er litt sehr große Schmerzen, das war deutlich zu sehen. Die starrenden Leute wurden hinausgeschickt. Aber trotz seines Leides ertrug er alles schweigend und mimte weiterhin den 'grand monarque'. Seine Ärzte palaverten und gaben insgeheim die Hoffnung auf. Dieses Mal sah der König ein, dass auch ihn der Tod ereilen würde. Aber er wollte so öffentlich sterben, wie er gelebt hatte. Zum Sonnenkönig gehörte diese Öffentlichkeit dazu, sie war Teil seiner Königswürde und ihm in Fleisch und Blut übergangen. Sein ganzes Leben hatte er wirkungsvoll inszeniert, nun musste er auch einen großen Abgang haben. Doch es gab auch den Menschen, der natürlich Schmerzen litt. Madame de Maintenon flüsterte Ramis zu, der König habe sie vor kurzem gefragt, ob niemand mehr im Raum sei, denn er müsse jetzt weinen. Kurz darauf verließ sie jedoch schon vor dem Tod ihres Gatten Versailles und zog sich für immer in ein von ihr gegründetes Mädcheninternat zurück. Als er starb, war sie nicht mehr bei ihm, ihre Treulosigkeit musste ihn gewiss geschmerzt haben. Mit ihr ging eine gute Freundin von Ramis.
Die Tage vor seinem Tod rief er noch alle wichtigen Angehörige n seines Hofes, Verwandte und Würdenträger, zu sich und erteilte seine letzten Anweisungen. Auch den fünfjährigen Kronprinzen empfing er und gab ihm den Ratschlag, es anders zu machen als er und weniger zu bauen, weniger Kriege zu führen. Am 1. September 1715 starb er dann fast alleine, den Gerüchten zufolge nach mit der an Gott gerichteten Bitte, es kurz und schmerzlos zu machen.
Als der Herzog de Bouillon auf den Balkon trat, um zu rufen: "Der König ist tot!" und gleich darauf: "Es lebe der König!", standen draußen Menschen, die weder dem Verstorbenen betrauerten, noch den kleinen König bejubelten. Sie schwiegen. Was sie wohl dachten? Die meisten von ihnen waren unter dem toten Sonnenkönig Louis aufgewachsen, doch sie waren seiner überdrüssig geworden.
Für ein paar Tage blieb der Tote noch im Haus, aufgebahrt, damit alle ihn ansehen konnten. Dann wurde er in die Kathedrale St. Denis bei Paris gebracht, wo er neben seinen Vorgängern beerdigt wurde. Frankreich schien aufzuatmen. Das Volk jubelte geradezu über seinen Tod.
Bereits einen Tag nach seinem Tod hatte sich Philippe d'Orléans entgegen des letzten
Weitere Kostenlose Bücher