Dunkle Häfen - Band 2
Willens des Königs durch das Pariser Parlament zum alleinigen Regenten ernennen lassen. Der Regentschaftsrat, der seine Macht begrenzen sollte, wurde zu einem zahnlosen Tiger, die Mitglieder vom Regenten selbst ernannt. Das Land indessen trauerte nicht sehr um seinen König, der sie über ein halbes Jahrhundert regiert hatte, es freute sich über die Veränderung. Die trat schon ein, als der junge Louis XV Versailles verlassen musste und nach Vincennes gebracht wurde, weil man Versailles auf Wunsch des alten Louis erst saubermachen müsse. So blieb ein Teil des Hofstaats zurück und wartete auf die Rückkehr des Königs. Ohne das tägliche Zeremoniell entstand unter den Zurückgebliebenen Unordnung und Unruhe. Sie wussten nicht so recht, was sie nun tun sollten, die meisten reisten auf ihre Landgüter ab. Der Traum von Versailles war endgültig tot, mit dem Sonnenkönig gestorben.
Der Regent kehrte nicht nach Versailles zurück. Er verlegte den Hof nach Paris, in die Tuilerien. Dort, so nahe bei seinem Palais-Royale, hatte er den kleinen Louis besser unter Kontrolle. In Versailles war ihm der Geist seines ungeliebten Onkels noch zu präsent. Ja, und Versailles war unauflöslich mit dem strengen Zeremoniell verhaftet, was dem vergnügungssüchtigen Regent nicht behagte. Die Menschen in Versailles wollten endlich einen Neuanfang und alle Zwänge abschütteln.
Als nun auch die letzten Bewohner von Versailles ihre Sachen packten, entstand ein riesiges Chaos. Die bedeutenderen Persönlichkeiten mussten ihre großen Zimmerfluchten räumen, was einigen Aufwand bedeutete. Berge von Möbeln und Kleidern wurden auf Kutschen gepackt, die gen Paris rollten. Die Flure waren so voll, dass man mancherorts nur schwer vorankam, vor allem wenn wieder ein Schrank den Weg blockierte.
Das Herzogspaar de Sourges zog es vor, abzuwarten, bis die erste Auszugswelle vorbei war und so beobachteten die Eheleute, wie sich Versailles rasch leerte. Ramis sah den Kutschen nach, die über den Hof rollten, um nie wieder zu kommen. Jetzt erkannte sie, wie viele Bedienstete es in Versailles gegeben hatte. In Scharen strömten sie ihren Herren nach. Adélaide und ihr Gönner waren schon fort, ebenso die Comtesse de Magnon. Ramis war froh, sie gehen zu sehen. Nur der Marquis harrte schweigend neben ihr aus, abgesehen von Guillaume natürlich. Ramis Mann hatte sich trotz der königlichen Missbilligung des herzoglichen Lebenswandels sehr gut mit Louis verstanden und Ramis vermutete, dass er doch auch um einen Freund trauerte.
Bald war Versailles so leer wie nie zuvor. Es wurde still im Haus des Sonnenkönigs. Man konnte lange durch die Flure wandern, ohne jemandem zu begegnen, früher nahezu unmöglich. Manchmal stellte Ramis sich vor, der Palast gehöre ihr und sie wäre die letzte Überlebende einer lebendigen Zeit voller Glanz und Feste. Die Zimmer entfalteten ihre düstere Pracht nun vollends und die Statuen begannen in dem einsamen Schloss ein Eigenleben. Die unzähligen Stimmen, die hier gehallt hatten, hinterließen nur ein lautloses Echo. Versailles war erbaut worden, um ein Denkmal zu sein, doch ohne Menschen schien es tot, wie in einem sehr tiefen Schlaf. Ramis stellte sich vor, wie hier der Geist des Sonnenkönigs umherwanderte und sich nicht von seinem Lebenswerk trennen konnte. Ungestört konnte sie nun das Gold, die Brokatvorhänge berühren, wie sie wollte. Ihre Hände erfassten dieses Versailles zum ersten Mal richtig. Der Marquis fragte, weshalb sie das mache.
"Erst wenn ich etwas mit meinen Händen berühre, weiß ich, dass es wirklich ist. Und ich kann es sehr viel intensiver erfassen, seine Seele spüren."
"Wirklichkeit hat nicht immer etwas mit festen Dingen zu tun. Es gibt auch vieles, das wir nicht berühren können und doch ist es wirklich."
"Da habt Ihr wohl recht. Aber es lässt sich ohnehin nicht sagen, was Wirklichkeit ist. Für jeden bedeutet sie etwas anderes."
Auf einmal tat der Marquis etwas Merkwürdiges. Er nahm Ramis Hände und legte sie sich auf die Schultern.
"Wenn Ihr eine Berührung braucht, um etwas zu erfassen, dann berührt mich. Werdet meiner bewusst."
Schnell zog Ramis ihre Hände weg. " Nein, so funktioniert das nicht", sagte sie ausweichend.
"Warum nicht?"
Sie schauderte. Die Berührung der Körper war auch eine Berührung der Seelen.
Schließlich kam Guillaume zu Ramis und meinte:
"Es wird Zeit, nach Paris zu gehen. Hier hält uns nichts mehr."
Eine Woche zuvor war ein junger Mann
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