Dunkle Häfen - Band 2
seid."
Ja, sie war keine mehr. Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, je eine gewesen zu sein. War sie denn eine, als sie nach Maple House kam? Sie hatte sich nie rein und unberührt gefühlt…
"Ich könnte mir vorstellen, dass Ihr genauso müde seid wie ich. Wie wäre es, wenn wir uns zurückziehen würden?"
Sie stimmte erleichtert zu und er verschwand im Nachbarzimmer, denn ihre Unterkunft schien mehrere Räume zu haben.
Ramis läutete nach Henriette, die in einem kleinen Raum in der Nähe schlief. Ohne eine einzige Frage zu stellen, half sie ihrer Herrin beim Ausziehen. Sie nahm die Perücke ab und löste die blonden Haare. Dann zog Ramis ein spitzenverziertes Hemd an und ging zu ihrem Bett. Es war ein breites Himmelbett, in dem bestimmt drei Personen gut Platz gehabt hätten.
Im Dunkeln horchte sie vergeblich nach den Atemzügen eines anderen Lebewesens. Es hatte nur wenige Nächte gegeben, in denen sie alleine in einem Raum war. Sie vermisste Edward, der so viele Jahre an ihrer Seite geschlafen hatte. Und dann hatte er sich ihr entzogen... Es war noch immer eine schmerzende Wunde, die sich nicht schloss, wie bei einer Bluterin. Vielleicht würde sie eines Tages daran verbluten. Ob er wohl von ihrem Verschwinden wusste? Käme er dann zu William zurück, um sich um den Jungen zu kümmern? Er kann gar nicht anders, sagte sie sich, jetzt da William auch seine Mutter verloren hat. Einen Vater hatte sie ihm nicht geben können, sein Bruder war gegangen, seine Mutter im Nichts verschwunden. In ihrem Kopf schrie es: Ich habe versagt, versagt! Sie rollte sich klein zusammen, um die Schreie auszuschließen.
Tagebuch
16.Juni 1715, Versailles
Meine Ehe mit Guillaume de Sourges verläuft in vieler Hinsicht, als wären wir nicht verheiratet. Wir sehen uns kaum, er bleibt ein Fremder für mich. Jeder geht seine eigenen Wege. Ich weiß nicht, was er den ganzen Tag und die Nächte macht, ich frage ihn auch nicht danach. Für mich hat sich im Grunde wenig geändert, obwohl doch alles gleichzeitig anders ist. Ich treffe mich weiterhin mit Adélaide und dem Marquis. Nur zu den Abendgesellschaften gehe ich natürlich zusammen mit meinem Mann, diese werden allerdings immer seltener. Wenn es heiß wird, verbringt der König den Sommer immer in Marly, seinem Schlösschen nahe Versailles. Eine Einladung dorthin gilt als höchster Gunstbeweis. Wenigstens ist es hier ruhiger, wenn der König nicht da ist.
Ich habe das 'Laster' des Kartenspieles kennengelernt, es ist hier ein sehr beliebter Zeitvertreib. Mir macht es zunehmend Spaß und man sagte mir, ich hätte ein Händchen dafür. Noch lieber spiele ich jedoch Schach. Ich erinnere mich, was Bess einmal sagte: In der Zeit, während du vor diesem Brett sitzt, bist du ein Heerführer, mächtiger als der arme König auf dem Brett. Du bist es, der erhoben über alle anderen die Fäden zieht und die Leute in die Schlacht schickt. Sie sterben, wenn du es willst und für dich. Du denkst, du kannst nicht mehr verlieren als dieses Spiel, aber es ist mehr. Es wie das Leben und in diesem Moment besitzt du die Macht über das Leben, von der sie alle träumen.
Ich habe ihn nicht vergessen, diesen Satz. Und tatsächlich ist die Freude über einen Sieg groß; je mehr man dem Gegner abgeneigt ist, desto genussvoller der Triumph. Und ich genieße es, zu gewinnen. Meistens muss der Marquis als Gegner herhalten, obgleich ich manchmal argwöhne, dass er mich einfach gewinnen lässt.
Seit meiner Hochzeit wird nicht mehr von Geld gesprochen. Für den Herzog ist es Ehrensache, dass seine Frau standesgemäß ausstaffiert ist. Ich kann wirklich nur staunen, was für Unsummen dieser Lebenswandel verschlingt. Ich bin im Gegensatz zu vielen anderen richtig bescheiden, was meine Kleider betrifft, aber der Hof hat schon Reichere als den Herzog in den Ruin getrieben. Es ist eine Pflicht - auf deren Einhaltung geachtet wird - dass man zu bestimmten Anlässen neue Roben trägt. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass die Hochzeit weniger wegen mir als wegen Guillaume stattfinden musste. Es war nicht mein Wohl, das im Vordergrund stand, sondern der Wunsch, den lasterhaften Herzog ordnungsgemäß zu verheiraten, denn der König hatte schon lange Anstoß an seinem Lebenswandel genommen. Ich kam eben gerade recht, eine bettelarme Frau, die sich gar nicht weigern konnte, den Herzog zu heiraten. Eine Weile war ich gekränkt deswegen, doch eigentlich spielt es keine Rolle. Nichts anderes war zu
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