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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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gewesen war. Vielleicht war es auch einfach zu schmerzhaft, denn das Mädchen war glücklich gewesen, es hatte in einer heilen Welt gelebt, die plötzlich wie Glas zerbrochen war. Ramis schämte sich zutiefst, das alles vergessen und damit das Andenken ihrer Eltern entweiht zu haben. Im Grunde wollte sie gar nicht mehr wissen, denn das, was sie bis jetzt wusste, zerfraß sie mehr und mehr. Sie musste weg von hier, bevor alles, was Ramis ausmachte, auseinander fiel und sich zu dem Scherbenhaufen gesellte, der ihre Kindheit darstellte. Schnell zog sie sich ihre grüne Contouche über und klopfte an die Tür des Marquis. Er zuckte erschrocken zurück, als er öffnete. Sie bemühte sich nicht darauf zu achten.
    "Könnten wir sofort abfahren?"
    Wenige Stunden später saßen sie in der Kutsche nach Paris. Wäre Ramis nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen, wäre ihr das bleierne Schweigen zwischen ihr und dem Marquis sehr unangenehm geworden. Doch sie litt zu sehr an Schuldgefühlen und ertrank in ihrem Elend, als dass ihr das wirklich aufgefallen wäre. Sie dachte daran, wie gemein ihr Verhalten gegenüber Colin war. Einst war er ihr bester Freund gewesen, trotz der Entfernung, die sie trennte. Sie war immer gerne in Schottland gewesen, auf der Burg des Clans, die vor Leben fast platzte. Ihre Mutter, die Schottin gewesen war, hatte eine riesige Familie gehabt. Ihr Bruder, Colins Vater, war das Oberhaupt gewesen. Ramis hatte auch nicht nach ihm und ihrer Tante gefragt. Nun erinnerte sie sich wieder, wie sie stets mit Colin draußen auf Entdeckungstour gegangen war. Es hatte eine Legende gegeben, die von einem Tor zu einer anderen Welt berichtete. Sie hatten immer in den Bergen nach diesem Tor gesucht und waren in jeden größeren Bau und in jede Felsspalte gekrochen. Einmal hatten sie dabei eine alte Grabstätte entdeckt und hatten sich deshalb nächtelang vor Gespenstern gefürchtet. Langweilig war es ihnen dabei nie geworden. Und jetzt hatte Ramis Colin nur eine dürftige Nachricht hinterlassen, in der sie versuchte, ihm zu erklären, wofür sie keine Worte fand.
     
    Ich weiß nic ht mehr, woran ich glauben soll, hatte sie ihren Brief ehrlich geschlossen, die Wahrheit hat mich brutal überrannt und ich fürchte, mein seelisches Gleichgewicht ist für immer dahin. Wie soll ich damit weiterleben? So wie immer, es verdrängen? Es tut mir leid, ich kann nicht anders. Ich werde weiter fliehen, wie ich es immer getan habe. Trotzdem bist du auf ewig mein Freund, auch wenn es keine Lianna mehr gibt. Verzeih mir, denn sonst kann mir niemand mehr verzeihen.
     
    Ramis zog die Vorhänge der Kutsche auf und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Es war Frühling und ein buntes Meer von Blumen überzog die Wiesen. Wieder ein Jahr um.
    Die Zeit vergeht nicht gleichmäßig, überlegte Ramis. Wenn man wünscht, sie möge sich endlich beeilen, kann der Augenblick zu einer Ewigkeit werden und wenn man ihn festhalten will, schwinden selbst die Jahre wie im Fluge. Und sie macht vor keinem Halt, mögen ihr auch manche noch so sehr trotzdem. Auch die zeitloseste Schönheit wird eines Tages alt und zahnlos werden, außer wenn ihr der Tod die ewige Jugend in den Köpfen bewahrt.
    Der Marquis hatte oft behauptet, neben der Herzogin sähen die jungen Dinger und vielen Schönheiten am Hofe unreif und oberflächlich aus. Sie hatte ob dieser Schmeichelei gelächelt und es trotzdem nicht so recht geglaubt. Warum hatte sie dann so wenige Verehrer? War sie den Leuten am Hof nicht viel eher unheimlich?
    Als sie sich vom Fenster abwandte, blickte der Marquis schnell wieder weg. Ramis machte den Mund auf, überlegte es sich dann aber wieder anders und schwieg.
    "Ich muss mir Euch imme r als Piratenkönigin vorstellen", erklärte er unaufgefordert, als müsse er sich rechtfertigen.
    Ramis schnaubte bitter.
    "Eine Königin war ich nie. Bitte vergesst alles, was ich erzählt habe."
    Und überhaupt den ganzen Abend, fügte sie im Stillen hinzu. Der Marquis errötete.
    "Ihr braucht Euch keine Sorgen machen, dass ich es irgendjemand em erzähle. Und... nun ja, es ist mir egal, was Ihr einst wart. Ihr könntet eine Massenmörderin sein und es würde nichts ändern."
    Genau das bin ich ja. Eine Massenmörderin. Sie seufzte und schaute wieder aus dem Fenster.
     
    Der Marquis überlegte unterdessen, warum sie die Liebe so verabscheute. Hatte sie denn nur Erfahrung mit Gewalt gemacht? Obwohl Ramis es nie zugeben würde, musste er sich fragen, ob sie im

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