Dunkle Häfen - Band 2
Grunde nicht viel eher Angst vor sich selbst hatte. Ihr Verhalten des letzten Abends mochte darauf schließen lassen. Hätte sie sich doch nur helfen lassen. Doch er hatte keine Ahnung von den tiefen Abgründen, an deren Rand Ramis entlang tanzte. Nachts hatte er selten Albträume, er fürchtete die Dunkelheit nicht. Niemand außer seinem gestrengen Lehrer hatte je die Hand gegen ihn erhoben und auch der hatte danach gehen müssen.
Ramis dagegen hatte einiges erlebt, beziehungsweise überlebt . Ja, sie lebte noch. Trotz der vielen Tode, die ihre Seele gestorben war. Schmerz konnte einen eben auch am Leben halten, er war immerhin lebendiger als die Leere, dieses Totsein im wachen Zustand.
Tiefes Schweigen legte sich wieder zwischen sie. Keiner von ihnen würde diese Reise wieder erwähnen. Die Kutsche lieferte Ramis vor dem Pariser Haus ab. Der Marquis verzichtete heute darauf, ihre Hand zu küssen.
"Danke ", sagte Ramis zum Abschied und er verstand nicht, weshalb sie ihm dankte.
Die Nachricht von Ramis überraschender Ankunft verbreitete sich in Windeseile und das Personal raffte sich schnell wieder auf, nachdem es während der Abwesenheit der Herrschaft gefaulenzt hatte. Deshalb waren manche nicht gerade erfreut, verbargen es aber hinter einem freundlichen Lächeln. Doch Ramis hatte offensichtlich auch Feinde unter ihren Leuten, die es nicht nur bei leichtem Unmut beließen. Als die Herzogin de Sourges ihr Zimmer betrat, bot sich ihr ein schlimmer Anblick. Über ihr Bett verstreut lagen ordentlich angerichtet die Überreste eines geschlachteten Tieres, dem Kopf zufolge eines Schweins. Die Augen stierten blicklos zur Tür. Erschrocken wich Ramis zurück. Das ganze Laken war mit Blutflecken übersät. Hinter ihr kreischte Henriette entsetzt.
"Wer war das?" , fragte Ramis tonlos.
Kalte Wut erfasste sie. Das war kein Scherz mehr.
"Madame, das weiß ich nicht!" Ihre Zofe war außer sich. Sie rang die Hände. "Gerade habe ich Euer Zimmer so schön hergerichtet und nun das! Ich bin nur nach unten gegangen, um Euch zu empfangen! Jemand muss sich hier reingeschlichen haben."
"Henriette, sorge bitte dafür, dass man hier aufräumt."
Ramis zog die Tür vor sich zu, um den abgetrennten Kopf nicht mehr sehen zu müssen. Sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund. Wieder wandte sie sich an ihre Zofe.
"Erinnerst du dich, wer vom Personal nicht unten war, um mich zu begrüßen?"
Ramis war sich ziemlich sicher, dass es einer aus dem Haushalt gewesen sein musste, sei es auf eigene Verantwortung oder auf Anweisung. Anhaltspunkte gab es recht wenig. Schlachtabfälle konnte jeder überall in Paris gekauft oder mitgenommen haben. Er würde es nicht gerade in der Nähe getan haben.
"Verzeihung, Herrin ", antwortete Henriette auf ihre Frage. "Das waren mehrere. Ich kann wirklich nicht sagen, wer alles."
"Aber wer hasst mich so, um etwas so Scheußliches zu tun?"
"Ich weiß nicht so recht. Mir vertrauen sich die meisten nicht an. Aber es gibt schon einige, die Euch nicht mögen."
"Achte in Zukunft ein wenig darauf, wer was über mich sagt. Mir gefällt der Gedanke nicht, einen Feind unter meinem Dach zu haben."
"Ja, Herrin. Ich werde jetzt dafür sorgen, dass hier aufgeräumt wird. Setzt Ihr Euch solange in den Salon."
Ramis nickte und dachte daran, wie sie gezwungen gewesen war, gegen den Piraten Parry so drastisch vorzugehen. Dieses Mal konnte sie sich nicht sicher sein, ob es ebenso dringlich war, doch bedenklich war es alle Mal, denn zu so einer ekelhaften Tat gehörte einiger Hass. Die Herzogin begab sich in das Arbeitszimmer ihres Mannes, um nach einer Liste aller im Haus Beschäftigten zu suchen. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich nicht eher an den Majordomus wenden sollte, konnte aber nicht davon ausgehen, dass er ihr die Wahrheit sagte. Fast jeden musste sie als verdächtig einstufen. Zwar war der Mann immer sehr zuvorkommend gewesen, aber wer sah schon in die Herzen der Menschen? Zu ihrer Überraschung fand sie im Arbeitszimmer den hübschen Jungen, der sie schon bei ihrer Ankunft nicht gemocht hatte. Er hieß Jean und schien im Haushalt keinen weiteren Nutzen zu haben. Der Herzog hatte ihn offenbar vor ein paar Jahren angeschleppt. Der Junge hatte sich Ramis gegenüber bereits einiges herausgenommen, aber dass er jetzt auf dem Stuhl herum lümmelte und keine Anstalten machte, sich zu rühren, als sie hereinkam...
"Was machst du hier?" , fuhr sie ihn gereizt an.
Es war den normalen Dienern natürlich
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