Dunkle Häfen - Band 2
als guten Menschen betrachten zu können? Das ist zynisch, ja, aber auch wenn die Beweggründe selbstsüchtig sind, kann diese Hilfe nur gut sein.
Ich ging ohne Schmuck zu dem Fest, doch es machte mir nichts aus. Wenn ich konsequent wäre, hätte ich all meinen Schmuck fortgeben müssen. Tat ich das? Bis jetzt jedenfalls nicht. So trat ich also wieder in die glänzende Seifenblase, den goldenen Käfig des Hofes und musste mir zum hundertsten Male vorstellen, wie ein Zug von Armen durch diese pompösen Räume zog. Der Gestank der Straße würde sich mit dem Parfüm mischen. Man würde sie wegscheuchen wie lästige Fliegen. Armut war hier verpönt - unmoralisch eben. Ich schritt durch die Menge aus wogenden Kleidern, nickte einigen zu und wechselte Belanglosigkeiten. Wie glich ich ihnen doch mittlerweile! Der Regent hatte zur Unterhaltung Tänzerinnen in den Palast geholt, was viele für einen Skandal hielten. In meinen Augen fehlte ihrem Tanz allerdings die unnachahmliche Leidenschaft und Kunstfertigkeit, die Talamara in ihrem Tanz ausgedrückt hatte und ich fand sie wenig skandalös. Die Leute hier waren in Sachen Hof nur das strenge Zeremoniell gewöhnt und zumindest einige Männer zeigten große Faszination. Verblüfft registrierte ich, dass der kleine König auf mich zukam. Irgendwie schien er sich noch an mich erinnern und nahm würdevoll meine Hand, wie es sich für einen König geziemte.
"Wo wart Ihr so lange?" Es klang anklagend und das verwunderte mich. "Wir haben Euch vermisst."
Er meinte das tatsächlich ehrlich, Kinderaugen lügen selten, selbst wenn ihr Mund anderes verkündet. Ich hätte nie gedacht, dass der kleine Zwischenfall einen so großen Eindruck bei dem heute kaum sechsjährigen Jungen hinterlassen hatte.
"Jetzt bin ich ja da, Majestät."
"Kommt, und unterhaltet Euch ein wenig mit Uns." Er zog mich mit sich an den Rand des Geschehens, seine Begleiter folgten und beobachteten uns unwirsch.
"Könnt Ihr mich nicht noch einmal entführen?" , flüsterte er mir zu.
Ich konnte seinen Wunsch verstehen. Zwar war ich nicht als König aufgewachsen, doch auch ich wusste, wie schrecklich die Verantwortung eines Erwachsenen auf den dünnen Schultern lastet. Und ich war ebenfalls ohne Freunde oder Gleichaltrige aufgewachsen. Die anderen Kinder in Maple House hatten nicht mit mir spielen wollen. Sie nannten mich heimlich 'maggot', Made. Ich habe diesen Namen gehasst.
"Achtung, da kommt maggot !"
Und alle kicherten und flohen vor mir. Sie fürchteten mich. Ich spielte nicht dieselben Spiele wie sie, nicht Mutter und Kind und nicht Held. Meine waren so bizarr wie meine Gedankenwelt.
Einsame Kinder erkannten sich. Und Louis war furchtbar einsam, umgeben von Menschen, denen er nur als König etwas wert war.
"Das kann ich leider nicht, Majestät", tuschelte ich zurück. "Eure Begleiter würden es nicht erlauben."
"Ach die. Die sollen es ja auch nicht mitbekommen."
Doch schon hatte der Regent seinen Schützling bei mir entdeckt. Das mutete natürlich höchst verdächtig an, ich könnte schließlich den jungen König manipulieren und für meine verderblichen Zwecke einspannen.
Ich bin sicher, so ähnlich denkt er. Außerdem mag er mich ohnehin nicht.
"Ihr seid also wieder in Paris ", begrüßte er mich und machte damit noch einmal deutlich, dass ich es versäumt hatte, es ihm zu melden. "Wie war denn St.Germain?"
"Sehr eindrucksvoll. Ich habe allerdings nur einen Tag dort verweilt, weil ich mir eine Krankheit eingefangen habe. So bin ich schon seit einiger Zeit wieder in der Stadt."
Ich nahm an, dass er das alles schon gehört hatte und mich nur beim Lügen ertappen wollte.
"Ihr habt Euch wieder vollständig erholt?"
Ich nickte mit einem aufgesetzten Lächeln.
"Vielen Dank für Eure Anteilnahme."
"Ich bin immer an Eurem Wohlergehen interessiert. Dennoch muss ich Euch Seine Majestät nun entführen, tut mir leid, doch er hat auch noch andere Gäste."
Der Tadel war unüberhörbar, doch ich verbiss mir jede Bemerkung und winkte lächelnd ab. Louis hielt noch immer meine Hand und ließ sie offenbar nur ungern los.
"Auf Wiedersehen, Madame. Ich hoffe, Wir sehen Euch bald wieder."
Damit gab er mich frei und wurde von D'Orléans weggezogen.
Ich blieb stehen und betrachtete unbeteiligt die Leute. Es geschah selten, dass jemand sich die Mühe machte, mit mir ein Gespräch zu beginnen, abgesehen von dem unaufhaltbarem Marquis natürlich. Trotzdem wuchs plötzlich ein junger Mann vor mir aus dem
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