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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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getröstet, es werde jemand kommen und mich in die Arme schließen wie einen wiedergefundenen Schatz. Dazu würde er sagen: "Komm mit, ich bringe dich an den Platz, an den du gehörst. Dort wird alles Teil von dir sein." Es war nie jemand gekommen. Was enttäuscht mehr als zerstörte Hoffnungen und Träume? Die Zeit hatte mich bitter werden lassen, gegenüber der Welt und mir selbst. Ich musste erkennen, dass ich immer eine Heimatlose bleiben würde. Vielleicht, so stellte ich mir nun vor, stand hier in dieser Stadt ebenfalls ein kleines Mädchen, das auf einem Dienstbotengang war und die Zeit heimlich dazu nutzte, die prächtigen Kutschen anzustarren und sich auszumalen, dass jemand anhalten würde. So wie ich damals. Ich träumte davon, dass entweder gleich meine verlorenen Eltern aussteigen würden oder jemand, der mir viel Geld schenkte, damit Martha, Emily und ich in einem kleinen Häuschen leben konnten. Auch das war närrisch gewesen und hatte bald der Realität weichen müssen. Ich glaube, ich versuchte so, meine Welt erträglicher zu machen. Doch niemand hat meine Seele gerettet. Von da an starrte ich den Kutschen voller Zynismus nach, eine kalte Wut im Bauch. Ironischerweise hatte sich nun die Situation umgekehrt, leider war es für das Mädchen von damals schon zu spät. Aber auch ich zeigte jetzt nicht mehr Barmherzigkeit als die Reichen, gegen die ich einen solchen Groll entwickelt hatte. Entschlossen befahl ich dem Kutscher, anzuhalten. Ich stieg aus und blickte mich nach einem geeigneten Wesen um, bevor mein Entschluss sich wieder verflüchtigte. Ich entdeckte sie in einer kleinen Gasse: Eine verlotterte Hure, kaum mehr als ein Kind. Man konnte sie beim besten Willen nicht als hübsch bezeichnen, die Armut stand in ihrem knochigen Gesicht geschrieben. Es kostete mich zugebenermaßen viel Überwindung, auf sie zuzutreten. In ihrem stumpfen Blick tauchte etwas wie Erstaunen auf, als diese adlige Dame vor ihr stand. Sie schaute nicht freundlich, eher sehr misstrauisch.
    "Ko mm mit mir. Ich will dir helfen", sagte ich zu ihr und sie stierte mich an, als wäre ich verrückt.
    Ich wollte nur vermeiden, dass ich mich vor Bettlern nicht mehr retten konnte, wenn sie zuschauten, aber sie nahm wohl an, dass ich etwas Obskures mit ihr vorhatte. Trotzdem folgte sie mir in meine Kutsche, ihr war es wohl das Risiko wert und so wie sie aussah, hatte sie nicht sehr viel zu verlieren. Mein Kutscher saß mit bewundernswert stoischer Miene auf seinem Kutschbock, als ich das schmutzige Mädchen einsteigen ließ. Die Grillen der Herrschaft kommentierte man nicht. Um wie vieles einfacher war es doch, wenn man Geld hatte! Auf mein Zeichen fuhr der Mann wieder an. Schweigend starrte mich das Mädchen an.
    Ich räusperte mich und erklärte mit fester Stimme:
    "Ich will dir etwas schenken."
    Vorsichtig löste ich die schöne Kette aus Gold, an der ein Edelstein hing und legte sie in die raue Hand. Mein glitzernder Diamantring folgte.
    "Du sollst eine Chance bekommen!" , sprach ich hastig. "Nutze sie und mach etwas draus. Trenne dich von deinem alten Leben. Mit dem Geld kannst du dir eine schöne Arbeit suchen."
    Ich gab ihr die Ratschläge, die ich damals so nötig gehabt hätte.
    Allerdings braucht es mehr als ein bisschen Geld, um aus dem Elend entkommen, das hätte ich bedenken sollen. Es ist auch nicht schwer zu geben, wenn man genug hat und damit sein Gewissen beruhigen kann.
    Sie starrte mich sprachlos an. Wie eine Betrunkene stieg sie aus, als die Kutsche hielt und hielt ihre Schätze fest im Arm.
    "Ich weiß, wie es ist, benutzt zu werden!" , murmelte ich hinter ihr her.
    Sie drehte sich noch einmal um.
    "Ihr müsst Gott sein ", sagte sie mit rauer Stimme. "Ihr habt so viel, dass Ihr auch geben könnt - und dennoch tut es keiner außer Euch. Sicher seid Ihr eine Verrückte!"
    Damit tappte sie schwankend davon, aber ich hatte Tränen in ihren Augen gesehen. Ob sie es geschafft hat, werde ich nie erfahren. Vielleicht hat ein alkoholabhängiger Ehemann oder ein gieriger Zuhälter mein Geschenk eingesackt. Vielleicht ist sie damit auch weit fort gegangen, in eine bessere Zukunft.
    "Ja, ich bin eine Verrückte ", rief ich hinter ihr her.
    Was mich mehr erschreckte, war ihr Vergleich mit Gott. Wie mächtig hatte ich in ihren Augen ausgesehen! Dabei hatte ich es nicht einmal um ihretwillen getan, sondern wegen eines kleinen Mädchens, dem ich immer noch helfen wollte. Entspringt Barmherzigkeit nicht dem Bedürfnis, sich selbst

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