Dunkle Häfen - Band 2
dies ihr einziger Grund gewesen? Sie wusste es nicht.
"Mein Kind ist zweifelsfrei das meines Mannes", sagte sie rau. "Und nun geht bitte."
Niedergeschlagen wandte er sich zur Tür.
"Bitte vergebt mir, Anne. Alles, was ich Euch angetan habe."
Noch lange Zeit stand Ramis da und fuhr gedankenverloren über den Bettpfosten.
"Und wer vergibt mir?" , fragte sie in die hereinbrechende Dunkelheit.
Tagebuch
Juli 1716, Paris
Meine schlechte Laune ist so schnell verschwunden, wie sie gekommen ist. Trotzdem bin ich eine Närrin. Martha hatte mich einst gewarnt, dass ich mich von Männern fernhalten sollte. Sie hatte verdammt recht damit. Sie haben mir nur Ärger gemacht, an dem ich - wie ich leider zugeben muss - auch meinen Anteil getragen habe. Selbst mein Freund konnte sich seiner Männlichkeit nicht entziehen. Aber Männer haben sich ja auch nicht mit so schmerzvollen und bedrohlichen Sachen wie der Geburt herumzuquälen. Sie haben ihr Vergnügen. Die Frau wird zu einer Zuchtstute gemacht, die ein Fohlen nach dem anderen wirft, mit denen man dann weiterzüchten kann. Ich weiß, das klingt bitter, aber ist es denn nicht so? Und wenn sie alt ist, besteht sie nur noch aus Runzeln und ihr fürsorglicher Ehemann sucht sich eine Jüngere. Carpe diem! Welch ein Leben! Ich habe mich dem Los der 'anständigen' Frau bis jetzt entzogen, doch zu welchem Preis? Der Preis war so hoch, dass er mich oft mehr als mein Leben gekostet hat. Soll ich mich nun über das Leben in mir freuen oder nicht?
Gerüchteküche
Es kam der Tag, an dem Ramis dem Herzog ihre Schwangerschaft beichten musste. Sie empfand ein merkwürdiges Unwohlsein dabei, es jemandem erzählen zu müssen. Sie aß ein wenig zum Abendessen und wartete danach auf den Herzog. Die Zeit vertrieb sie sich mit Lesen. Jean leerte ihr eine Tasse über das Kleid, als er ihr servieren sollte. Ramis schimpfte über seine Ungeschicktheit und argwöhnte, dass er es mit Absicht getan hatte. Wenn Guillaume nicht gewesen wäre, hätte sie den rotzfrechen Jungen längst aus dem Haus geworfen. Seine Art war entschieden nicht so hübsch wie sein Gesicht. Sie schickte ihn als Strafe wieder in die Küche zurück. Sonst war sie aus Gewohnheit keine strenge Herrin, aber sie hatte nicht vor, sich von Jean beleidigen zu lassen. Wegen ihm musste sie sich schon wieder umziehen gehen. Als sie damit fertig war, begab sie sich in die große Bibliothek und suchte sich ein paar weitere Bücher heraus. Doch Ramis fand nicht die nötige Konzentration. Sie dachte über das Geschöpf in sich nach und über ihr Leben. Mit der Schwangerschaft hatte sie sich selbst hierher gekettet. Mit diesem Kind musste sie ihre Träume von einer Rückkehr zu ihrem alten Leben begraben. Oder wollte sie die ohnehin gefährliche Reise mit ihrem Kind machen? Wie ein Tier, das lange in Gefangenschaft gelebt hat und verlernt hat, in der Wildnis zu überleben, nach der es sich mit jeder Faser seines Körpers sehnt, war ihr die raue Welt ungewohnt geworden. Sie wollte den sicheren goldenen Käfig nicht mehr verlassen, denn draußen lauerte der Tod. Und ihre Feinde. Konnte sie es denn ertragen, Lord Fayford wiederzusehen und all die Erinnerungen heraufzubeschwören, die sie hatte vergessen zu wollen? Sie musterte ihre Haut, die so weiß und glatt wie Elfenbein war. Äußerlich war sie keine Piratin mehr. Aber innerlich schien sie sich nie verändert zu haben, sie war alles in einem, egal welchen Namen sie trug. Als sie wieder auf die Wanduhr schaute, war es sehr spät geworden. Ramis Mann musste inzwischen zurück sein. Sie stellte das ungelesene Buch zurück in sein Regal und machte sich auf den Weg zum Zimmer des Herzogs. Wie so oft vergaß sie anzuklopfen, bevor sie eintrat. Und so wurde ihr erst klar, dass sie in eine prekäre Situation hineingeplatzt war, als es bereits zu spät war und sie mitten im Raum stand. Guillaume hatte den Jungen auf dem Schoß und strich ihm übers Haar. Unschlüssig wollte Ramis wieder gehen. Doch sie überlegte es sich anders. Sie wollte ihre Nachricht loswerden und warum sollte sie den Rückzug antreten? Also verharrte sie und räusperte sich vernehmlich. Die beiden sahen auf.
"Ich muss Euch sprechen, Guillaume. Es ist sehr wichtig."
"Nun, dann setzt Euch doch."
"Wenn wir allein sind. Was ich zu sagen habe, ist nicht für seine Ohren bestimmt."
Er seufzte und ließ den Jungen von seinem Schoß rutschen. Herausfordernd starrte Jean Ramis an und rührte sich nicht von der
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