Dunkle Häfen - Band 2
Stelle.
"Verschwinde, Jean!" , befahl sie gereizt. "Auf der Stelle!"
Er biss sich trotzig auf die Lippen, bevor er ging.
"Warum seid Ihr denn so unfreundlich zu ihm?" , erkundigte sich der Herzog genervt.
"Er ist sehr unverschämt, falls Euch das noch nicht aufgefallen ist! Mir wäre es lieber, wenn er sich anderswo eine richtige Arbeit suchen würde. Und hattet Ihr mir nicht zugesichert, Ihr würdet ihn nicht anrühren?"
"Oh Anne, verschont mich bitte mit Euren moralischen Vorhaltungen. Es ist nicht mehr passiert, als Ihr gesehen habt – und wird es auch nicht. Lasst mir meine kleinen, doch recht harmlosen Schwächen. Es kann eben nicht jeder ein tugendhaftes Engelchen wie Ihr sein."
Beschämt und verärgert von seinen Worten glättete sie ein paar nichtvorhandene Falten in ihrem Rock.
"Nennt mich nicht tugendhaft. Dieser Ausdruck gebührt mir nicht."
"Ich wüsste nicht, wer sich tadelloser verhält als Ihr - bis auf Eure seltsamen Wutausbrüche."
"Versteht Ihr nicht, dass Ihr über mich spottet?"
De Sourges betrachtete seine Frau lange. Was sie wohl jetzt schon wieder verbarg? Sie war voll von Geheimnissen und dabei verschwiegen wie ein Grab.
"Was gibt es denn so Wichtiges?" , brachte er sie zum Zweck ihres Kommens zurück.
Sie holte tief Luft und umklammerte die Kanten des Stuhls, hinter dem sie stand, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
"Ich bin schwanger."
Guillaume sprang auf.
"Wirklich? So schnell? Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll..."
"Immerhin haben wir mehrere Wochen..." , murmelte sie errötend.
"Tja, dann haben wir es wohl geschafft. Merkwürdig, nicht wahr?"
Er machte eine Pause und wog ein Tintenfass in der Hand.
"Also, so lasst uns auf die Geburt des Erben de Sourges trinken! Meine Mutter wäre sehr stolz auf mich..."
Sie zwang sich zu einem Lächeln und setzte sich auf den Stuhl.
Was ist sie doch für eine seltsame Person! wunderte sich ihr Mann zum wiederholten Male, seit er sie geheiratet hatte.
Ein wenig konnte er den Marquis schon verstehen, der diese unangepasste u nd für ihn so unpassende Frau wie wahnsinnig liebte. Selbst wenn er sich dabei zum Gespött des Hofes machte, indem er ihr nachlief wie ein liebestoller Kater. Der Herzog dachte an das Porträt seines Vaters, das in der Bibliothek hing. Er war ein notorischer Lebemann gewesen, der fast nie zuhause gewesen war. Neben seiner Mutter hatte er immer andere Frauen gehabt, an die er sein Geld verpfefferte. Das hatte die alte Herzogin verbittert und sie dazu gebracht, ihren Sohn mit aller Strenge zu erziehen, damit der seinem Vater nicht nacheiferte. Der alte Herzog war früh gestorben, sein Lebenswandel hatte sicher auch dazu beigetragen. Das Porträt seiner Frau hing neben dem seinen und das war auch der Grund, weshalb ihr gemeinsamer Sohn das Paar in die Bibliothek verbannt hatte. Der Junge hatte sehr unter dem strengen Regiment seiner tugendhaften Mutter gelitten und sobald er älter wurde, begann er hinter ihrem Rücken ein wahres Lotterleben, dem er nach ihrem Tod gänzlich verfiel. Was sie wohl zu seiner ungewöhnlichen Ehefrau gesagt hätte? Er lächelte beim Gedanken an eine Begegnung der beiden. Es hätten dabei sowohl die Fetzen fliegen als auch ein friedliches Einverständnis herrschen können. Beide waren sie sehr willensstarke Frauen. Er beschloss, Anne porträtieren zu lassen. Er war gespannt, wie ihr verschlossenes Gesicht neben dem seiner Mutter mit ihren kalten Augen und dem strengen Zug um den Mund aussehen würde.
Ramis Schwangerschaft nahm ihren Lauf. Bald wusste der ganze Hof davon. Man zog lästerlich über das Ehepaar her.
"Der einzige Mann, der nicht der Vater sein kann, ist ih r Gemahl, der Herzog de Sourges", wusste die Comtesse zu sagen.
Und alle stimmten ihr zumindest in einem zu: Der Herzog hatte nie und nimmer ein Kind gezeugt. Die meisten tippten auf einen: den Marquis natürlich. Der konnte sich kaum bei Hofe sehen lassen, ohne sofort mit anzüglichen Bemerkungen übergossen zu werden. Ramis mied es ebenfalls, in die Tuilerien zu gehen. In dieser Zeit kam sie, wie es der Zufall wollte, ihrer alten Freundin Adélaide wieder näher. Nachdem sich ihr Verhältnis merklich abgekühlt hatte, erfuhr Ramis nun, dass die Französin auch schwanger war. Für Adélaide hieß das, dass sie möglichst schnell heiraten musste, wenn sie nicht einen weiteren Skandal heraufbeschwören wollte. Ihren Gönner konnte sie nicht heiraten, denn der war es schon. Außerdem wollte er nichts mehr
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