Dunkle Häfen - Band 2
Mucks.
"Charlotte Louise ", sprach er feierlich. "Ich nehme dich als mein eigen Fleisch und Blut an."
Die Spannung fiel von den Anwesenden ab. Für den Arzt und die Hebamme gab es nun nichts mehr zu tun und sie verabschiedeten sich bald. Ramis lächelte ihren Mann an.
"Du bist wunderbar, Guillaume. Es könnte keinen besseren Ehemann für mich geben. Das meine ich ehrlich. Zu dir habe ich Vertrauen, obwohl ich am Anfang große Angst gehabt habe. Die hast du mir genommen. Danke."
Er hielt ihre Hand, als sie einschlief. Rasch rief er nach einer Amme, die sich um das Kind kümmerte.
"Aber auch du hast mir viel gegeben, ma chére", sagte er leise zu der Schlafenden. "Tatsächlich habe ich mich ebenfalls vor den Anforderungen der Ehe gefürchtet. Inzwischen können wir sogar ein Kind unser eigen nennen."
Als sie wieder aufwachte, wunderte sie sich, wo Charlotte war. Auf ihre Frage hin erklärte man ihr, dass das Mädchen doch bei ihrer Amme wäre. Amme? Ramis schalt sich eine Närrin. Natürlich stillte keine adlige Frau ihr Kind selbst. Aber genau das wünschte sie sich. Keine andere durfte ihr das Kind wegnehmen! Vom Bett aus, wo sie sich erholen sollte, brach sie einen Streit mit Guillaume vom Zaun, den sie am Ende gewann, denn der Herzog wollte seine Frau nicht zu sehr aufregen, die geradezu hysterisch wurde. So ließ man die Sache erst einmal auf sich beruhen. Ramis konnte den Gedanken nicht ertragen, dass eine andere ihr Kind herzen und versorgen würde. Nie mehr wollte sie ein Kind verlieren.
Tagebuch
Januar 1717, Paris
Charlotte bleibt endgültig bei mir. Auch wenn alle mich komisch anschauen, weil es sich nicht ziemt. Sollen sie doch denken, was sie wollen. Ich komme aus einer Welt, wo man sich selbst um seine Kinder kümmern muss, weil sonst niemand da ist. Auch wenn es beileibe kein Vergnügen ist, Nacht für Nacht wachgehalten zu werden und das ununterbrochene Geschrei zu ertragen, ich bereue es nie. Außer vielleicht, wenn meine Nerven blank liegen und ich mir wünsche, dieses brüllende Bündel von mir zu stoßen. Dann weiß ich nicht mehr, warum ich mir das freiwillig antue. Irgendwann wird auch das vorbei sein. Wenigstens muss ich mir um die Nahrung keine Sorgen machen, es ist alles im Überfluss vorhanden.
Februar 1717, Paris
Es war richtig rührend anzusehen, als der Marquis Charlotte zum ersten Mal auf dem Arm hielt. Obwohl es recht unwahrscheinlich ist, glaubt er fest daran, dass zwischen ihm und dem Mädchen eine Verbindung gibt. Charlotte hat sich jedenfalls vom ersten Tag an geweigert, irgendjemandem ähnlich zu sehen. Sie sieht nicht aus wie ihre Mutter und auch nicht wie Guillaume oder der Marquis, ganz als weigere sie sich, etwas anderes zu akzeptieren als ihre eigene Persönlichkeit. Ihre Augen sind grün und ihre Haare ein dunkler Flaum. Zuerst habe ich mit meiner abergläubischen Ader gefürchtet, die Feen hätten mein Kind vertauscht, doch wie ich zugeben muss, hatte sie diese Augen auch schon bei der Geburt. Sie erinnern mich an ein Gesicht, das ich gut kannte oder zumindest schon einmal gesehen habe. Ich liebe mein Kind inniglich, doch kann nicht umhin, zuzugeben, dass zwischen uns eine unselige Schranke besteht. Als hätte der Versuch, sie mir wegzunehmen und einer Amme zu geben, diesen Keil zwischen uns getrieben. Nichts kann mir helfen. Ich bin so zärtlich und liebevoll zu ihr, wie ich es nur sein kann, aber gerade in dieser Anstrengung liegt Problem. Ich habe mich niemals dazu zwingen müssen, liebevoll zu sein. Es ist kein Verschmelzen der Herzen und auch nicht die grenzenlose Liebe, die ich im Gesicht des Marquis lese. Ich hätte mein Leben für sie gegeben, aber... Vielleicht liegt es an der Art, wie Charlotte Guillaume oder den Marquis liebt. Wenn einer der beiden sie auf den Arm nimmt, lacht sie übers ganze Gesicht und reagiert sehr heftig auf sie. Allein ihre Anwesenheit entlockt ihr Begeisterungsstürme. Vielleicht bin ich eifersüchtig. Ach, das ist doch dumm. Wieso sollte Charlotte ihre Mutter nicht lieben? Kein Band könnte stärker sein...
Juli 1717, Paris
Fast täglich habe ich nun wieder in den Tuilerien zu sein. In dieser Zeit muss ich Charlotte bei einem Kindermädchen zurücklassen. Man brachte mir, kaum dass ich wieder ganz erholt war, die Nachricht, dass der junge König mich am Hof anwesend wünschte. Das versetzte mich in großes Erstaunen, denn ich konnte nicht verstehen, weshalb Louis mich wegen der zwei oder drei Mal, die wir uns
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