Dunkle Häfen - Band 2
ein, worauf der Marquis antwortete, sich brav verneigte und hinter Ramis hinausging. Nachdenklich starrte Ramis ihn an, als sie draußen waren.
"Und?" , erkundigte sie sich.
"Ich will Euch nicht länger auf die Folter spannen: Ihr dürft hier bleiben! Ihr werdet bald wieder den Komfort genießen, den Ihr gewohnt seid." Erwartungsvoll sah er sie an.
Ramis hätte fast aufgelacht. Sie und Komfort! Mehr als bescheiden hatte sie nie gelebt. Und nun war die Piratin in aller Form dem König von Frankreich vorgestellt worden. Ihre einfache, dumme Lüge zog immer weitere Kreise. Wann würde der Schwindel auffliegen und wie würden dann die Folgen sein?
"Ich kann auch in ärmliche n Verhältnissen leben, Monsieur", versicherte sie ihm.
Enttäuscht über ihre lahme Reaktion zupfte er im Vorbeilaufen eine Blume von einem Strauß ab.
"Sicher, Madame, wenn es sein muss. Aber man muss es ja nicht freiwillig tun."
Er führte sie zu ihren Plätzen und reichte ihr ein kleines Opernglas.
"Wer war eigentlich die Dame bei dem König?" , wollte Ramis wie nebenbei wissen, obwohl es sie sehr interessierte.
"Ach, das ist Madame de Maintenon. Sie ist die Frau des Königs."
"So ist sie also die Königin?"
"Mais non! Sie ist nur seine Frau, nicht gekrönt. Die Königin ist schon lange tot. Madame de Maintenon war lange die Mätresse des Königs."
Ramis konnte sich die s trenge Frau in dem Zimmer absolut nicht als Mätresse vorstellen. Waren das nicht eher leichtlebige Geschöpfe? Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fügte der Marquis hinzu:
"Ist das nicht eine Ironie? Gerade sie wirkt in den letzten Jahren sehr auf den König ein, dass er den Hof noch prüder, noch strenger macht! Ihr haben wir dieses starre Zeremoniell und die übertriebene Frömmelei zu verdanken. Aber Ausschweifungen und Verrücktheiten gehören für viele Adlige einfach zum Leben, n'est-ce pas?"
Ramis dachte an Sir Edward und an den düsteren Lord Fayford.
"Ja, Ihr habt recht ", meinte sie nur.
Weitere Möglichkeiten zu Gesprächen wurden unterbunden, als das Stück begann. Ramis war viel zu gespannt, um sich durch Reden abzulenken, sie wollte sich nichts entgehen lassen, denn sie hatte bisher nur vom Hörensagen von den prachtvollen Aufführungen vernommen. Als sich der Vorhang hob, staunte sie erst einmal über die kleine Welt, die man auf der Bühne errichtet hatte und die ihr genauso fremd war wie alles hier. Doch was auf der Bühne stand, war noch exotischer und glitzernder. Wie viel wohl so eine Vorstellung kostete? Sicher unvorstellbar viel. Obwohl Ramis kein Wort verstand und wenig mitbekam, um was es eigentlich ging, nahm sie das Geschehen auf der Bühne gefangen. Das Geschwätz der anderen, die sich nicht besonders auf das Stück konzentrierten, störte Ramis ungemein. Konnten sie denn nicht ruhig sein, diese unverschämten Klatschmäuler, damit man die Musik endlich hören konnte? Ramis wusste nicht, dass sie in diesem Moment wirklich sehr an ein einfaches Landmädchen erinnerte, das die Wunder des Hofes bestaunte. Und für sie nahm das Vorgespielte ebenso kurzzeitig Realität an. Als das Theater zu Ende war, blieb Ramis verzaubert sitzen.
"Hat es Euch gefallen?" , fragte der Marquis sie, teils um sie zum Aufstehen zu bewegen, teils aus Neugier.
Aber er musste, um die Antwort zu erfahren, nur einen Blick auf ihr entrücktes Gesicht werfen. Plötzlich erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Er packte ihren Arm und nickte in eine Richtung.
"Madame!" , raunte er. "Könnt Ihr die Dame dort hinten sehen?"
"Welche, die mit dem rosa Kleid?" Ramis rümpfte die Nase.
Die Dame war kaum zu übersehen. Sie war groß und schlank, ihr Kleid extravagant, mit einem gewagten Ausschnitt. Ein kesses Hütchen wippte auf blonden Locken. Ramis schätzte sie so in etwa in ihrem Alter, sonst hatten sie nicht viel gemeinsam. Die andere war raffiniert geschminkt und trug einen Ausdruck hochnäsiger Verachtung zur Schau. Die Leute drehten sich nach ihr um und suchten ihre Nähe, besonders die Männer, die sie anstarrten wie Kaninchen, befand Ramis sarkastisch. Der Marquis gehörte auch zu den Kaninchen, wie sie feststellte. Verzückt beobachtete er sie. Ramis schluckte die abfällige Bemerkung über die Frau wieder herunter.
"Ist sie nicht wunderschön?" , schwärmte er.
"Nein." Das konnte sie sich nicht verbeißen, aber er bemerkte es gar nicht.
Dabei war sie in Ramis Augen, den Augen einer Frau, nicht gerade schön . Ihr fehlte die starke Ausstrahlung, die
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