Dunkle Häfen - Band 2
Recht und konnte deshalb nicht mit seiner Meinung hinterm Berg halten. Frankreich brauchte Neuerungen, einen neuen König. Tatsächlich drückten die Gesichter der älteren Höflinge eine gewisse Schwermütigkeit aus, sie bewegten sich längst in einem erstickend starren Zeremoniell. Es bedurfte eines aufmerksamen Beobachters, um es zu bemerken und doch lag die Stimmung wie ein Schleier über Versailles. Die Jüngeren wünschten sich vergnüglichere Zeiten, wollten einen so lebensfrohen Hof wie einst zu den besseren Zeiten des 'Sonnenkönigs'. Ramis störte sich im Moment aber eher an etwas anderem.
"Und Ihr solltet wissen ", sagte sie zum Marquis. "Ich halte Eure Idee immer noch für schlecht. Es ist nicht nötig, mich dem König vorzustellen. Was erhofft Ihr Euch denn davon?"
"Nehmt es doch als Chance, Madame."
Sie kam zu der Einsicht, dass der Marquis hoffte, sie wie ein Orden aushängen zu können, vor allem, falls sie dem König auffallen würde. Für ihn mochte sie wie ein edles Pferd sein, auf dessen Erfolg man stolz ist, als wäre es der eigene, weil man das Tier gefüttert und gehegt hatte. Der junge Mann hatte sie gerettet und schien nun mit ihr einen Triumphzug machen zu wollen. Aufmerksamkeit würde er sicher erregen mit seinem außergewöhnlichen Mitbringsel. Ramis war ihm ja dankbar, aber wenn ihre Vermutungen stimmten, ging das wirklich zu weit. Auf jeden Fall würde sich nicht einschüchtern lassen, von nichts und niemandem. Egal, was der Marquis erwartete, sie war ihm doch nicht schuldig, sich wie eine hübsche Puppe darstellen zu lassen und dem König zu gefallen. Gestärkt mit diesem Entschluss, folgte sie dem Marquis zum Zelt des Königs. Eine Wache, die am Eingang stand, klopfte und trat herein, um sie anzumelden. Offensichtlich war König Louis gewillt, sie zu empfangen, denn der Mann öffnete ihnen das Zelt und hieß sie eintreten.
Ramis entdeckte den König zwischen all den glänzenden Möbeln und Stoffen erst nach kurzer Suche. Er ruhte auf einem bequemen Liegesessel, eine pompös gekleidete Gestalt. Ramis knickste ein wenig unbeholfen, wie sie es vor langer Zeit in Maple House gelernt hatte. Während der Marquis nach einer respektvollen Verbeugung auf den Wink des Königs zu ihm trat, musterte Ramis ihn verstohlen. Er war wirklich alt und ganz anders, als Ramis sich ihn stets vorgestellt hatte. Aber auch wenn die Perücke einen zurückgewichenen Haaransatz verdecken mochte, so war er dennoch sehr einschüchternd. Seine Miene war düster und ausdruckslos, als er Ramis musterte. War das der Mann, der ganz Europa in Atem gehalten hatte? Ja, und man konnte es durchaus noch erkennen, selbst wenn er krank war. Stumm erwiderte er Ramis neugierigen Blick. Dann wandte er sich leicht zum Marquis und redete auf Französisch mit ihm. Allem Anschein nach sprachen sie über Ramis, denn sie schauten sie ab und zu an. Um ihr Unwohlsein zu verbergen, ließ Ramis ihre Augen umherschweifen. Jetzt erst bemerkte sie Frau, die die ganze Zeit unauffällig in einer Ecke gesessen hatte. Es handelte sich um eine ältere Frau, obwohl sie fast alterslos wirkte. Eine wie sie hätte Ramis nie hier zu finden erwartet. Ihre Kleidung war dunkel und entsprach keineswegs der Mode, die die anderen zur Schau stellten, Ramis in ihrem Aufzug eingeschlossen. Dennoch war sie erlesen angezogen, wenn auch recht bieder. Aus ihrem Blick sprach scharfe Intelligenz. Die beiden Frauen maßen sich ab, jede versuchte, die andere abzuschätzen. Ein herrisches Wort vom König ließ Ramis wieder herumfahren, auch wenn es gar nicht an sie gerichtet war. Man durfte zwar annehmen, dass Louis Englisch konnte, doch er hielt er wohl nicht für nötig oder es war unter seiner Würde.
Wenigstens muss ich mich so nicht mit ihm unterhalten. Über was redet man denn mit einem König?
Ramis machte sich keine Illusionen, ein Monarch wie er würde sich nicht für eine Frau aus dem Meer interessieren. Könige zollten höchstens ihren Kreisen Aufmerksam keit, das hatte Martha Ramis erklärt.
Ich wollte doch nur in Frieden leben! Wieso stehe ich denn mitten in Versailles, von einer Verwicklung in die andere geraten?
Was war es, das sie immer herumwarf wie ein Spielball? Das Schicksal oder doch sie selbst? Wer hatte Fayford zu diesen Taten getrieben? Aber wer hatte ihn dann wieder überleben lassen, wo sein Tod doch schon sicher war?
In der Zwischenzeit schien Louis das Gespräch für beendet zu halten und entließ sie beide. Die Frau warf noch etwas
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