Dunkle Herzen
Parker ausfindig zu machen. Er wußte bloß nicht, was ihn eigentlich dazu trieb.
Als er die Augen wieder öffnete, war es bereits dunkel geworden. Er griff nach seiner Flasche, zündete sich eine Zigarette an und richtete dann sein Teleskop aus. Die Sterne zu betrachten empfand er seit jeher als ausgesprochen entspannend.
Er befaßte sich gerade eingehend mit der Venus, als er hörte, daß ein Auto auf sein Haus zugerattert kam. Und mit einer Gewißheit, die ihn selbst überraschte, wußte er sofort, daß Clare am Steuer saß. Mehr noch, er erkannte, daß er auf sie gewartet hatte.
Sie hatte es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Nein, gab Clare bei sich zu, als sie aus dem Auto sprang, ihr war buchstäblich die Decke auf den Kopf gefallen. Sie wußte, daß Angie und Jean-Paul gut und gerne ein, zwei Stunden auf sie verzichten konnten. Im Grunde genommen war sie sogar davon überzeugt, daß die beiden es kaum abwarten konnten, Jean-Pauls Theorien unter vier Augen durchzudiskutieren. Wohingegen Clare selbst nicht über das Vorgefallene nachdenken konnte und wollte.
»Hey, Slim.« Cam war ans Ende der Veranda gekommen und lehnte sich über das Geländer. »Komm rauf.«
Clare sprang mit ein paar Sätzen die Stufen empor und warf ihm die Arme um den Hals. Noch ehe er reagieren konnte, preßte sie schon ihren Mund hart auf den seinen.
»Nun«, stieß er nach einem Moment hervor, »ich freue mich auch, dich zu sehen.« Seine Hände strichen liebevoll über ihren Brustkorb und blieben dann auf ihren Hüften liegen. Aufmerksam musterte er sie im fahlen Licht, welches aus seinem Schlafzimmerfenster drang. »Was ist los?«
»Nichts.« Clare setzte ein bewußt strahlendes Lächeln auf. »Ich hatte einfach nur keine Ruhe mehr zuhause.« Mit
gespreizten Fingern fuhr sie durch sein Haar, ehe sie sich an ihn schmiegte. »Vielleicht war ich auch nur scharf auf dich.«
Er hätte sich geschmeichelt fühlen können, wenn er ihr nur geglaubt hätte. Sacht küßte er sie auf die Stirn. »Du kannst mit mir über alles reden.«
Sie wußte, daß er ihr zuhören, daß er ihre Sorgen teilen würde. Doch sie konnte ihm nicht von dem gräßlichen Ding, das sie auf ihren Stufen gefunden hatte, erzählen, oder von Jean-Pauls wilden Vermutungen oder von dem Buch, das sie aus dem Büro ihres Vaters mitgenommen und wie ein Teenager, der heimlich Pornohefte hortete, unter ihrer Matratze versteckt hatte.
»Es ist wirklich nichts. Vermutlich wächst mir im Moment einiges über den Kopf. Aufträge, hohe Erwartungen, Verträge und all das.« Was sogar zum Teil der Wahrheit entsprach, doch Clare hatte das Gefühl, daß Cam auch noch den Rest dessen, was ihr auf der Seele lag, aus ihr herauskitzeln würde, wenn sie sich nicht zwang, die Ereignisse aus ihrem Gedächtnis zu streichen, vorerst jedenfalls. »Was machst du denn da?« Sie löste sich von ihm, um sein Teleskop zu inspizieren.
»Eigentlich gar nichts.« Cam griff nach der Pepsiflasche und reichte sie ihr. »Möchtest du einen Schluck?«
»Gerne.« Clare nahm die Flasche und trank. »Ich hatte gehofft, du würdest anrufen«, sagte sie und ärgerte sich sofort über sich selbst. »Vergiß einfach, was ich eben gesagt habe. Was kann man denn durch dieses Ding erkennen?«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, ehe sie sich zu dem Okular des Teleskops hinunterbeugen konnte. »Ich habe dich angerufen, aber die Leitung war dauernd besetzt.«
»Oh.« Clare konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. »Angie hat ewig und drei Tage mit New York telefoniert. Hast du mal eine Zigarette für mich, Rafferty? Ich muß meine Handtasche im Auto liegengelassen haben.«
Er bot ihr eine an. »Ich mag deine Freunde«, sagte er, während er ein Streichholz anriß.
»Die beiden sind großartig. Vermutlich war es ziemlich albern von mir, aber ich war total nervös, als ihr euch kennengelernt habt. Ich kam mir vor, als würde ich dich meinen Eltern vorstellen oder so etwas. Ach du lieber Gott!« Sie ließ sich auf die Lehne seines Stuhles plumpsen. »Ich kann nicht glauben, was ich da eben gesagt habe. Beachte mich einfach nicht – tu so, als wäre ich gerade erst gekommen.« Sie seufzte tief. »Ich fühle mich wie ein unerfahrener Teenager. Schrecklich.«
»Mir gefällt es.« Cam legte ihr die Hand unter das Kinn, um ihren Kopf anzuheben. »Ich bin sogar ganz vernarrt in deine Art. Noch vor zehn Minuten habe ich hier gesessen und Trübsal geblasen, und jetzt weiß ich gar nicht mehr, warum
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