Dunkle Herzen
unserer Parade gekommen ist?«
»Ja, ja. Wie geht es dir heute, Gladys?«
»Ich bin fit wie ein Turnschuh. Wie ich hörte, findet am Mittwoch eine außerordentliche Gemeinderatssitzung statt. Die Leute machen sich große Sorgen, daß die Gebühren für die Müllabfuhr schon wieder erhöht werden.«
»Der Gemeinderat und ich suchen nach einer Lösung.« Atherton nahm seine Brille aus der Tasche und polierte sie sorgfältig. »Wir sollten lieber die Reden hinter uns bringen, damit die Leute die Parade genießen können.«
Er ging zum Mikrofon, tippte einmal dagegen, um sich zu vergewissern, daß es eingeschaltet war, und räusperte sich. Es gab eine schrille Rückkoppelung, die die Menge zum Lachen brachte, danach kehrte wieder Ruhe ein, und alle lauschten den Worten des Bürgermeisters.
Er sprach über den Heldentod, die Geißel des Krieges und Verehrung von Gott und Vaterland. Verborgen in der Menge standen einige und lächelten in sich hinein, als Beifall und Jubelrufe ertönten. Bei sich dachten sie an den Tod eines Opfers, an die Geißel der Vergeltung und an die Verehrung des Gebieters.
Die Luft knisterte von elektrisierender Macht. Bald, bald schon würde frisches Blut fließen.
Ernie achtete nicht auf die Rede. Es reichte, daß er Atherton in der Schule ertragen mußte. Statt dessen bahnte er sich einen Weg durch die Menge, auf der Suche nach Clare.
Er wußte nicht, daß er beobachtet wurde, ebensowenig wie er wußte, daß er in den vergangenen Tagen ständig unauffällig beschattet worden war. Die Entscheidung war gefallen und akzeptiert worden. Seine Seele war angenommen.
»Bei der Grundschule ganz unten geht es los«, erklärte Clare ihren Freunden. »Ihr könnt mir glauben, im Moment herrscht dort bestimmt das reinste Chaos. Jede Wette, daß einige der Kids ihre Handschuhe oder Stiefel verlegt haben, und ein paar übergeben sich vor lauter Aufregung ins Gebüsch, so wie immer.«
»Klingt fabelhaft«, kommentierte Angie ironisch.
»Ach, halt dich geschlossen, du New Yorker Großstadtpflanze«, lachte Clare und legte der Freundin einen Arm um die Schulter. »Es gilt als sicher, daß unsere Highschoolband dieses Jahr Aussichten auf einen der ersten Plätze hat.«
»Wo bleiben die Trommlerinnen?« wollte Angies Mann wissen.
»Davon kriegst du Dutzende zu sehen, Jean-Paul«, versicherte ihm Blair. »Eine ganze Schar vergnügter Schönheiten im heiratsfähigen Alter. Und Tänzerinnen gibt es auch.«
»Aha.«
»Clare hätte fast einmal bei einer Parade mitgetanzt.«
»Blair, du spielst mit deiner Rente!«
»Tatsächlich?« Mit glitzernden Augen musterte Jean-Paul sie. »Aber ma chère amie , das hast du mir ja nie erzählt.«
»Vermutlich deswegen nicht, weil sie bei der Probe über ihre Schnürsenkel gestolpert ist.«
»Betty Mesner hatte mir die Schuhbänder gelöst«, schmollte Clare. »Du hattest ihr einen Korb gegeben, und ich durfte es ausbaden.«
»Yeah«, grinste Blair. »Das waren noch Zeiten. Ach, hallo, Annie.«
Crazy Annie strahlte. Der Tag der Parade war für sie der schönste Tag des Jahres, schöner noch als Weihnachten
oder Ostern. Sie hatte gerade eine klebrige Kirschwaffel verzehrt, und ihre Hände glänzten rötlich.
»Ich kenne Sie«, sagte sie zu Blair.
»Natürlich kennst du mich. Ich bin Blair Kimball.«
»Ich kenne Sie«, wiederholte Annie. »Sie haben unten auf dem Sportplatz immer Baseball gespielt. Ich hab’ oft zugeschaut. Sie kenne ich auch«, informierte sie Clare.
»Freut mich, dich zu sehen, Annie. Ein paar von unseren Rosen blühen schon«, erzählte sie, da sie sich erinnerte, daß ihr Vater Annie oft eine Blume geschenkt hatte.
»Rosen sind meine Lieblingsblumen.« Annie starrte Clare an und fand Jack Kimball in deren Augen und in dem liebenswürdigen Lächeln wieder. »Es tut mir leid, daß Ihr Daddy gestorben ist«, verkündete sie höflich, als sei dieser eben erst verstorben.
»Danke.«
Annie lächelte erfreut, da sie daran gedacht hatte, das Richtige zu sagen. Dann musterte sie Angie. »Sie kenne ich auch. Sie sind die schwarze Frau, die bei Clare wohnt.«
»Das ist meine Freundin Angie und das ihr Mann Jean-Paul. Sie wohnen in New York.«
»In New York?« Annie betrachtete sie mit aufkeimendem Interesse. »Kennen Sie Cliff Huxtable? Er ist auch schwarz, und er wohnt auch in New York. Ich hab’ ihn im Fernsehen gesehen.«
»Nein.« Angies Lippen kräuselten sich. »Ich habe ihn noch nicht getroffen.«
»Er ist im Fernsehen. Er trägt immer
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