Dunkle Herzen
auf und ab, um zu sehen und gesehen zu werden, Straßenverkäufer boten Limonade, Hot Dogs und knallbunte Luftballons feil.
Die Älteren und Klügeren aus der Menge hatten es sich entlang der Straße in ihren Campingstühlen bequem gemacht; Kühlboxen mit Getränken standen in Reichweite. Da die Straße für den Autoverkehr komplett gesperrt worden war, hatte sich die Mehrzahl der Schaulustigen auf Schusters Rappen auf den Weg gemacht.
Diejenigen, die das Glück hatten, an der Main Street zu wohnen – oder jemanden zu kennen, der dort wohnte –
saßen auf ihren frisch gestrichenen Veranden im Schatten buntgestreifter Markisen, schlürften gekühlte Drinks, knabberten Chips und unterhielten sich angeregt über ihre Nachbarn oder über vorangegangene Paraden.
Auch die Hinterhöfe waren samt und sonders auf das üblicherweise auf die Parade folgende Barbecue vorbereitet worden. Überall hatte man Holztische aufgestellt und mit bunten Papierdecken geschmückt, die leicht im Wind flatterten. Die Gartengrills blitzten vor Sauberkeit, und reichlich Bier war vorsorglich kaltgestellt worden.
Die Schulband der Emmitsboro High hatte seit kurzem einen neuen Bandleader. Die Alteingesessenen freuten sich schon darauf, diesen in der Luft zu zerreissen; ein kleines, nur allzu menschliches Vergnügen.
Die Stadt schwirrte vor Gerüchten und Klatsch. Das Gerede über Biff Stokeys Tod war von Spekulationen hinsichtlich des Angriffs auf die Frau aus Pennsylvania abgelöst worden. Bei den Farmern bildeten Matt Doppers abgeschlachtete Kälber das Hauptthema.
Aber mit einem einstimmigen Seufzer der Erleichterung hatten die meisten Einwohner beschlossen, diese Ereignisse heute beiseite zu schieben und unbeschwert die Parade zu genießen.
Der Hagerstowner Fernsehsender hatte ein Team nach Emmitsboro geschickt, und sobald die Kamera über die Menge schwenkte, zogen die Männer ihre Bäuche ein, und die Frauen strichen sich rasch das Haar glatt.
Doch in der Menge verbargen sich zwölf Männer, die ihr eigenes geheimes Zeremoniell zu feiern gedachten. Ab und an trafen sich ihre Augen, abwartend, abschätzend. Das Zeichen würde gegeben werden. Auch wenn es unter ihnen einige Unstimmigkeiten gab, am heutigen Tag gehörte die Stadt ihnen, auch wenn die Stadt davon nichts ahnte.
Die schwarzen Armbinden, die ein jeder von ihnen trug, stellten beileibe kein Zeichen ihrer Verehrung für die Verstorbenen dar, sondern bildeten das Symbol ihrer Zugehörigkeit zum Kreis der Kinder Satans. Ihr Memorial-Day-Fest würde hier beginnen, inmitten all des Prunks und all
der Fröhlichkeit, und in einer Nacht, sehr bald schon, enden. In dem verborgenen magischen Kreis tief drinnen im Wald.
Wieder würde jemand sterben müssen, und das Geheimnis, welches die wenigen Auserwählten zu wahren suchten, würde sich wie ein schleichendes Gift in der Dunkelheit verbreiten.
Auf der Tribüne hielt Min Atherton Hof. Sie genoß es, dort oben zu sitzen und auf Freunde wie auf Feinde hinabzublicken. Extra für diesen Anlaß hatte sie ein funkelnagelneues Baumwollkleid erstanden. Es war über und über mit riesigen lila Blüten bedruckt, und Min fand, es verlieh ihr ein geradezu mädchenhaftes Aussehen. Sie bedauerte nur, daß sie den Gürtel allzu eng geschnallt hatte – sie hatte sich nämlich soeben zwei große Portionen Krapfen einverleibt –, aber wer schön sein wollte, mußte leiden, wie ihre Mutter stets zu sagen pflegte.
Das Haar hatte sie sich waschen, legen und so großzügig mit Haarspray einsprühen lassen, daß es schon eines Tornados bedurft hätte, um auch nur eine Strähne verrutschen zu lassen. Die Frisur wirkte wie ein Lackhelm, der über ihrem breiten, teigigen Gesicht schwebte.
Neben ihr unterhielt sich ihr Mann gerade leutselig mit Mitgliedern des Gemeinderates. Min war mit seiner äußeren Erscheinung sehr zufrieden. In seinem lohfarbenen, gutgeschnittenen Anzug machte er einen gewichtigen, bedeutenden Eindruck. Zwar hatte die rote Krawatte, die sie ihm herausgelegt hatte, Anlaß zu Diskussionen gegeben, doch schließlich hatte sie ihn überzeugen können, daß dieser Schlips auf dem Fernsehschirm besonders gut zur Geltung kommen würde. Und wie immer hatte er sich ihren Wünschen gefügt.
Min betrachtete sich selbst als die perfekte Politikergattin. Die Frau hinter dem Mann. Und sie genoß die Macht, die eine Frau im Verborgenen ausüben konnte. Sie gab alle Informationen, die sie im Schönheitssalon, bei Gesprächen über den
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