Dunkle Herzen
einen Kreis. Was wollen sie bloß spielen? Der-Plumpsack-geht-um? Bei dem Gedanken muß sie lachen. Erwachsene große Männer! Aber sie stehen ganz still, keiner sagt einen Ton.
Eine Glocke läutet.
Clare fuhr hoch und blickte sich mit wild klopfendem Herzen im Wohnzimmer um. Block und Bleistift hatte sie zu Boden fallen lassen. Vielleicht hatte sie zu gute Arbeit geleistet, überlegte sie, eine Hand gegen die Stirn pressend. Als die Glocke wieder läutete, schoß sie von ihrem Sessel hoch, ehe ihr bewußt wurde, daß jemand vor der Tür stand.
Sie stieß einmal keuchend den Atem aus, ehe sie hinging, um zu öffnen. Die Frau vor der Tür war gerade im Begriff, wieder zu gehen. »Hallo?«
»Oh.« Die dunkelhaarige Frau blieb zögernd im Regen stehen. »Ich dachte schon, Sie wären nicht zu Hause.«
»Tut mir leid. Kommen Sie rein, Sie werden ja ganz naß.«
»Ich wollte nur … habe ich Sie geweckt?«
»Nein.« Clare sah sich das Gesicht unter dem Regenhut genauer an. Mitte dreißig, urteilte sie, und recht hübsch, auf eine ruhige, sanfte Weise. Die riesigen dunklen Augen waren das Schönste an ihr. »Rocco’s , stimmt’s?«
»Ja. Ich bin Joleen Butts.«
Beide waren sie blaß, wenn auch aus verschiedenen Gründen, und beide versuchten zu lächeln. »Kommen Sie doch rein.«
»Ich möchte nicht stören, ich … doch, gerne. Danke.«
Drinnen blickte sich Joleen neugierig um. Clare hatte bereits damit begonnen, das Haus zu verschönern. Sie hatte Ziertischchen aufgestellt, auf denen Vasen voll frischer Blumen standen, und die Wände mit Drucken und Postern dekoriert, die sie auf Flohmärkten erstanden hatte. Nur der
Dielenfußboden, auf dem die tropfnasse Joleen stand, war noch kahl.
»Lassen Sie mich Ihren Mantel nehmen.«
»Bitte entschuldigen Sie vielmals die Störung. Hoffentlich halte ich Sie nicht von der Arbeit ab.«
»Ehrlich gesagt macht mich der Regen ein bißchen träge.« Clare nahm Joleens Mantel und Hut und hängte beides an den Geländerpfosten. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee oder einen Tee?«
»Nein, danke, machen Sie sich bitte keine Umstände.« Joleen drehte nervös ihre lange bunte Perlenkette zwischen den Fingern hin und her. »Ich, äh, ich habe Ihre Skulptur da draußen bewundert.«
»Im Rohzustand sieht sie noch ziemlich merkwürdig aus.« Clare führte ihren Gast ins Wohnzimmer. »Ich hoffe nur, der Krach stört Sie nicht allzusehr.«
»Nein, nein. Es ist interessant, Ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Ich verstehe leider nicht viel von Kunst.«
»Dafür hab’ ich keinen blassen Schimmer vom Pizzabakken, und Ihre Pizza ist ein Gedicht.«
»Vielen Dank.« Joleen blickte sich im Zimmer um und wünschte von ganzem Herzen, sie wäre nie hergekommen. »Ich verwende alte Familienrezepte. Mein Mädchenname ist Grimaldi.«
»Ach, deshalb hat Ernie südländische Züge. Bitte setzen Sie sich doch.«
Langsam ließ sich Joleen auf dem Sofa nieder. »Also kennen Sie Ernie?«
»Ja. Wir haben uns ein wenig angefreundet, als er mir Modell gesessen hat.«
»Er hat Ihnen Modell gesessen?«
»Hat er Ihnen nichts davon erzählt?« Unter Joleens forschendem Blick wurde ihr unbehaglich zumute. Clare griff nach einer Zigarette und zündete sie an, ehe sie fortfuhr: »Ich habe seinen Arm in Ton modelliert.«
»Ich … ich verstehe.«
»Ich wünschte wirklich, er hätte Ihnen davon erzählt, ich habe mich nämlich schon gefragt, warum Sie sich die
fertige Arbeit nie angeschaut haben. Aber ich hab’ noch Fotos davon hier. Ich fotografiere jedes meiner Werke, weil ich mir eine Sammelmappe anlege, aber ein Foto ist natürlich nicht dasselbe wie die Skulptur selbst.«
»Miss Kimball, haben Sie ein Verhältnis mit meinem Sohn?«
Clare verschluckte sich und hustete heftig. »Wie bitte?« Ihr Gegenüber ungläubig anstarrend, klopfte sie sich auf die Brust. »Was haben Sie da eben gesagt?«
»Sie sind bestimmt der Meinung, das ginge mich nichts an, aber Ernie ist erst siebzehn. Sicher, er wird im November achtzehn, aber ich denke, solange er noch minderjährig ist, habe ich ein Recht darauf, zu erfahren, was er …«
»Moment, Moment, Moment.« Clare hob eine Hand. »Mrs. Butts, Joleen, ich habe Ernies Arm modelliert, mich mit ihm unterhalten und ihm Cola oder Limonade angeboten, mehr nicht. Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen, daß …«
»Ich weiß es von Ernie«, unterbrach Joleen.
Fassungslos lehnte sich Clare zurück. »Das will mir einfach nicht in den Kopf. Sie meinen,
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