Dunkle Herzen
du danach aufs College?«
Er zuckte lediglich mit den Achseln. Diese Frage bildete einen weiteren Streitpunkt zwischen ihm und seinen Eltern. Mit einer guten Ausbildung stehen dir alle Türen offen. Scheiß drauf. Ihm standen auch so alle Türen offen. »Sobald ich genug Geld zusammen hab’, gehe ich nach Kalifornien – nach Los Angeles.«
»Was hast du denn da vor?«
»Einen Haufen Geld zu verdienen.«
Sie lachte, doch das Lachen klang freundlich, nicht geringschätzig. Fast war er versucht zurückzulächeln. »Ein guter Vorsatz. Hättest du Lust, als Modell zu arbeiten?«
Mißtrauen flackerte in seinen Augen auf. Auffallend dunkle Augen, stellte Clare fest. So dunkel wie sein Haar. Und diese Augen blickten viel wissender, als es seinem Alter nach zu vermuten gewesen wäre.
»Für wen?«
»Für mich. Ich würde gerne deine Arme modellieren. Du könntest irgendwann mal nach der Schule vorbeikommen. Ich zahle nach Tarif.«
Ernie trank noch einen Schluck Pepsi und fragte sich, ob sie unter diesen hautengen Jeans wohl noch etwas anhatte. »Mal sehen.«
Auf dem Heimweg fingerte er an dem umgekehrten Pentagramm, das er unter seinem Black-Sabbath-T-Shirt trug, herum. Heute abend würde er ein privates Ritual zelebrieren. Für Sex.
Nach dem Abendessen schaute Cam bei Clyde’s Tavern herein, wie so oft am Samstagabend. Dort gestattete er sich ein einziges Bier, spielte vielleicht eine Runde Billard und genoß die Gesellschaft. Außerdem konnte er so ein Auge auf diejenigen haben, die einen Drink nach dem anderen in sich hineingossen und dann nach ihren Autoschlüsseln griffen.
Laute Hallorufe und Winken begrüßten ihn, als er die dunkle, verräucherte Bar betrat. Clyde, der von Jahr zu Jahr breiter und grauer wurde, zapfte ihm ein Beck’s vom Faß. Cam blieb an dem alten Mahagonitresen stehen, einen Fuß bequem auf die Messingtrittstange gestützt.
Aus dem hinteren Raum drangen Geräusche herüber; Musik, das Klackern der Billardkugeln, ab und zu ein saftiger Fluch und schallendes Gelächter. Ein Haufen Männer und ein paar vereinzelte Frauen saßen an den quadratischen, mit Biergläsern, überquellenden Aschenbechern und Bergen von Erdnußschalen übersäten Tischen. Dazwischen stolzierte Sarah Hewitt, Buds Schwester, in einem engen T-Shirt und noch engeren Jeans umher, servierte frische Getränke und sammelte Trinkgelder und mehr oder weniger deutliche Anträge ein.
Für Cam war es eine Art Ritual, samstags hierherzukommen, ein dunkles Bier zu trinken und eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, immer dieselben Songs zu hören, denselben Stimmen zu lauschen und vertraute Gerüche aufzunehmen. Irgendwie empfand er es als beruhigend, daß Clyde immer hinter dem Tresen stehen und seine Gäste anschnauzen würde. Die Budweiseruhr hinter ihm an der Wand würde immer zehn Minuten nachgehen, und die Kartoffelchips würden immer fad schmecken.
Sarah tänzelte hüftschwenkend und mit funkelnden schwarzen Augen auf ihn zu. Sie roch, als hätte sie in billigem Parfüm gebadet. Als sie ihr Tablett auf dem Tresen abstellte, rieb sie ihre Schenkel leicht an den seinen. Ohne großes Interesse registrierte Cam, daß sie irgend etwas mit ihren Haaren angestellt hatte. Jetzt waren sie wasserstoffblond, und eine Strähne fiel ihr verführerisch ins Gesicht.
»Ich hab’ mich schon gefragt, ob du heute abend noch vorbeikommst.«
Cam blickte zu ihr hinüber und erinnerte sich, daß es einmal eine Zeit gegeben hatte, da er barfuß über glühende Kohlen gegangen wäre, um sie für sich zu gewinnen. »Wie geht’s denn so, Sarah?«
»Könnte schlimmer sein.« Sarah drehte sich so, daß ihr Busen Cams Arm streifte. »Bud sagt, du warst ziemlich beschäftigt.«
»Ich hatte einiges zu tun, stimmt.« Cam griff nach seinem Glas und brach so den einladenden Körperkontakt ab.
»Vielleicht möchtest du dich später ein bißchen ausruhen, so wie in alten Zeiten.«
»Ausgeruht haben wir uns eigentlich nie.«
Sarah stieß ein tiefes, heiseres Lachen aus. »Es freut mich ungemein, daß du dich wenigstens daran noch erinnerst.« Ärgerlich fuhr sie herum, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Seit sich Cam wieder in der Stadt aufhielt, war sie darauf aus, ihre Hände auf seine Hose – und seine Brieftasche – zu legen. »Ich hab’ um zwei Uhr Feierabend, dann könnte ich bei dir vorbeikommen.«
»Ich weiß das Angebot zu schätzen, Sarah, aber Erinnerungen sind mir lieber als Wiederholungen.«
»Wie du willst.«
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