Dunkle Herzen
Achselzuckend nahm sie ihr Tablett wieder auf, doch die Zurückweisung ließ ihre Stimme schärfer klingen. »Aber ich bin besser als früher.«
Was jedermann bestätigen konnte, dachte Cam und zündete sich eine Zigarette an. Mit siebzehn war die gutentwickelte, aufreizende Sarah ein echter Fang gewesen. Sie hatte ihn fast um den Verstand gebracht. Und dann hatte sie plötzlich beschlossen, ihre Gunst auch jedem anderen verfügbaren männlichen Wesen zu gewähren.
»Sarah Hewitt ist zu haben« – dieser Satz wurde zum Schlachtruf an der Emmitsboro High School.
Damals hatte er sie geliebt, oder es zumindest geglaubt. Heute empfand er für sie nur noch Mitleid, was, wie er wußte, viel schlimmer war als Haß.
Die Stimmen im Hintergrund wurden immer lauter,
und die Flüche ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Cam warf Clyde einen fragenden Blick zu.
»Laß man, Jungchen.« Clydes Stimme klang so heiser und kratzig, als habe ihm jemand mit einer Feile die Stimmbänder aufgerauht. Er öffnete zwei Flaschen Budweiser, wobei sich sein Gesicht zu einer Grimasse verzog, die sein Doppelkinn erzittern ließ. »Wir sind hier nich’ im Kindergarten.«
»Es ist deine Bar«, erwiderte Cam, doch ihm war nicht entgangen, daß Clyde bereits mehrmals einen verstohlenen Blick in Richtung Hinterzimmer geworfen hatte.
»Stimmt haargenau, und es macht meine Gäste nervös, wenn das Auge des Gesetzes auf ihnen ruht. Was ist nun, willst du dein Bier trinken oder nur damit rumspielen?«
Cam hob sein Glas und nahm einen tiefen Schluck, dann zog er noch einmal an seiner Zigarette, ehe er sie ausdrückte. »Wer treibt sich denn da hinten so alles rum, Clyde?«
Clydes fleischiges Gesicht nahm einen verschlossenen Ausdruck an. »Die übliche Bande.« Doch unter Cams forschendem Blick wandte er sich ab, griff nach einem säuerlich riechenden Lappen und begann, die schmierige Theke abzuwischen. »Biff ist da, und ich will hier keine Scherereien.«
Bei der Erwähnung seines Stiefvaters verfiel Cam in nachdenkliches Schweigen. Biff Stokey kam auf seinen Sauftouren nur selten in die Stadt, aber wenn er es tat, dann war der Ärger vorprogrammiert.
»Wie lange ist der denn schon da?«
Clyde hob die massigen Schultern, so daß die Fettwülste, die über seine fleckige Schürze quollen, in Bewegung gerieten. »Seh’ ich so aus, als hätte ich mit der Stoppuhr danebengestanden?«
Ein schrilles, hohes Kreischen ertönte, gefolgt von dem Geräusch zersplitternden Holzes.
»Ich fürchte, er ist schon zu lange hier«, meinte Cam und begann, sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge zu bahnen, wobei er einige Gaffer unsanft beiseite stieß. »Macht doch mal Platz! Platz da, verdammt noch mal!«
In dem Hinterzimmer, in dem sich normalerweise die Leute zu einer Partie Billard trafen oder den altmodischen Flipperautomaten mit Vierteldollarmünzen fütterten, kauerte eine Frau verängstigt in der Ecke, während Less Gladhill mit wutverzerrtem Gesicht um den Billardtisch herumtorkelte und drohend ein Queue schwang. Über sein Gesicht lief bereits Blut. Biff, der die Überreste eines Stuhls in der Hand hielt, stand ein paar Schritte von ihm entfernt. Er war ein großer, ungeschlachter Mann, mit Armen wie Dreschflegel und einem flächigen, von Alkohol geröteten Gesicht. In seinen Augen loderte nackter Haß, ein Ausdruck, den Cam seit seiner Kindheit kannte und verabscheute.
In sicherem Abstand zu den Streithähnen hüpfte Oscar Roody aufgeregt von einem Bein auf das andere, bemüht, Frieden zu stiften.
»Komm schon, Biff, das war ein faires Spiel.«
»Verpiß dich«, knurrte Biff.
Cam legte Oscar die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, beiseite zu treten. Dann wandte er sich an Less. »Geh eine Runde spazieren, Less, bis du wieder nüchtern bist«, sagte er freundlich, ohne jedoch den Blick von seinem Stiefvater zu wenden.
»Dieser Hurensohn hat mir mit dem Scheißstuhl eins übergebraten!« Less wischte sich behutsam das Blut aus dem Gesicht. »Außerdem schuldet er mir zwanzig Mäuse.«
»Mach einen Spaziergang«, wiederholte Cam. Seine Finger schlossen sich um das Billardqueue. Er mußte nur einmal kräftig daran ziehen, damit Less es losließ.
»Der Typ is ’n gemeingefährlicher Irrer. Er ist als erster auf mich losgegangen, dafür hab’ ich Zeugen.«
Ein zustimmendes Brummen kam von den Zuschauern, doch keiner trat vor. »Gut, dann geh rüber zu meinem Büro. Und ruf Doc Crampton an,
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