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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Duft des Frühlings lag in der Luft.
    An einem kleinen Laden hielten sie an und versorgten sich mit kühlen Softdrinks, Sandwiches und Chips, verstauten ihr Picknick in der Satteltasche und fuhren weiter, tief in den Wald hinein, bis sie an eine Stelle gelangten, wo das gewundene Flüßchen sich plötzlich verbreiterte.
    »Ist das herrlich hier!« Clare nahm den Helm ab, fuhr sich mit der Hand durch das Haar und wandte sich lachend zu Cam. »Ich habe keine Ahnung, wo wir hier sind.«
    »Wir befinden uns nur zehn Meilen nördlich von der Stadt.«
    »Aber wir waren doch stundenlang unterwegs.«
    »Ich bin im Kreis gefahren.« Cam holte die Lunchtüten aus der Tasche und reichte ihr eine. »Du warst bloß so mit Singen beschäftigt, daß es dir nicht aufgefallen ist.«
    »Der einzige Nachteil bei einem Motorrad ist, daß man kein Radio aufdrehen kann.« Clare schlenderte bis an das moosbewachsene Ufer des gurgelnden, rasch über die Steine und Kiesel dahinplätschernden Flüßchens. Die zarten Blätter über ihr leuchteten in jungem, frischen Grün, welches durch die weißen Farbtupfer der Kalmien und der wilden Hartriegel aufgelockert wurde.
    »Hierhin hab’ ich schon oft Mädchen abgeschleppt«, sagte Cam hinter ihr. »Ein ideales Plätzchen zum Schmusen.«
    »Tatsächlich?« Lächelnd drehte sie sich zu ihm um, doch in ihren Augen lag ein lauernder Ausdruck. Er glich einem Boxer, der auf Distanz gegangen war, und obwohl sie kein Fan solcher blutigen Sportarten war, erschien ihr dieser Vergleich ausgesprochen passend. »Bist du diesem Standardverfahren bis heute treu geblieben?« Neugierig und herausfordernd zugleich beugte sie sich vor und sah ihn mit funkelnden Augen an. Plötzlich wurde ihr Blick starr.
    »O Gott! Großer Gott, schau dir das an!« Sie warf ihm die Tüte mit den Sandwiches zu und rannte los.
    Als er sie eingeholt hatte, stand sie vor einem mächtigen alten Baum, die Hände vor den Mund geschlagen, die Augen vor Verzückung geweitet. »Siehst du das?« flüsterte sie.
    »Ich sehe nur, daß du mich gerade zehn Jahre meines Lebens gekostet hast.« Cam schnitt dem alten, knorrigen Baum eine Grimasse. »Was zum Teufel ist denn in dich gefahren?«
    »Er ist wunderschön. Absolut perfekt. Ich muß ihn haben.«
    »Was mußt du haben?«
    »Den Auswuchs da.« Sie streckte sich und stellte sich auf die Zehenspitzen, doch ihre Finger reichten noch nicht an die halbkugelförmige Wucherung aus Holz und Rinde, die die alte Eiche verunstaltete, heran. »So was hab’ ich schon immer gesucht und nie gefunden. Zum Schnitzen«, erklärte sie, als sie sich wieder auf die Fußsohlen sinken ließ. »So ein Auswuchs besteht quasi aus Narbengewebe. Wird ein Baum verletzt, dann bildet sich über der Wunde neues Gewebe, ähnlich wie beim Menschen.«
    »Ich weiß, was das ist, Slim.«
    »Aber das hier ist ein Prachtexemplar, dafür würde ich meine unsterbliche Seele hergeben.« Ein berechnender Ausdruck trat in ihre Augen; ein Ausdruck, der sich nur dann dort zeigte, wenn sie darauf aus war, Material zu ergattern. »Ich muß herausfinden, wem das Land hier gehört.«
    »Dem Bürgermeister.«
    »Mr. Atherton besitzt hier draußen Land?«
    »Vor zehn, fünfzehn Jahren, als das Land noch billig war, hat er dieses Gebiet gekauft. Ich schätze, er besitzt hier im Umkreis so an die vierzig Morgen. Wenn du den Baum haben willst, mußt du ihm vermutlich nur versprechen, ihn wiederzuwählen. Das heißt, wenn du hierbleibst.«
    »Ich würde ihm alles versprechen.« Clare umkreiste den Baum, den sie in Gedanken bereits als ihr Eigentum betrachtete. »Daß du mich hierhergebracht hast, muß eine Fügung des Schicksals gewesen sein.«
    »Und dabei wollte ich dich eigentlich nur zum Schmusen herlocken.«
    Sie lachte, dann fiel ihr Blick auf die Tüten, die er noch in der Hand hielt. »Laß uns essen.«
    Nah am Fluß, von wo aus Clare einen guten Blick auf ihren Baum hatte, machten sie es sich im Gras bequem und wickelten ihre Sandwiches aus. Ab und an fuhr auf der Straße ein Auto vorüber, aber ansonsten herrschte tiefe, friedliche Stille.
    »Das habe ich vermißt«, bemerkte Clare, nachdem sie sich an einen Felsbrocken gelehnt hatte. »Die Ruhe.«
    »Bist du deshalb zurückgekommen?«
    »Teilweise.« Sie sah ihm zu, wie er in der Tüte nach den Chips kramte. Ihr fiel auf, wie schön seine Hände waren, trotz der Kratzer und der aufgeschlagenen Knöchel. Sie würde sie in Bronze gießen, um den Griff eines Schwertes oder den Kolben

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