Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
kaum älter als zwanzig, und trug einen schlichten, konservativen Rock in schwarz, eine weiße Bluse und praktische flache Schuhe. Ihr braunes Haar trug sie zu einem Dutt geknotet – Mitch nahm jedenfalls an, dass die Frauen das immer noch so nannten –, eine Frisur, die ihrem jungen, schmalen Gesicht alles andere als schmeichelte.
Mitchs erster Eindruck war der eines braven, wohl erzogenen Hündchens, das einem die Pantoffeln bringt, ohne dass seine Zähne eine einzige Spur auf dem Leder hinterlassen.
»Dr. Carnagie. Bitte kommen Sie herein, Miss Harper erwartet Sie.«
Ihre Stimme passte zu ihrer übrigen Erscheinung, sie klang sanft und vornehm.
»Vielen Dank.« Er trat ein und befand sich unmittelbar im
Wohnzimmer, das mit einem Sammelsurium von Antiquitäten möbliert war. Unter all den verschiedenen Stilrichtungen und Epochen erspähte sein Sammlerauge einen spätgeorgianischen Sekretär und eine Louis-XVI.-Vitrine.
Die Stühle ohne Armlehnen waren vermutlich italienisch, die Couch viktorianisch – und alles sah fürchterlich unbequem aus.
Außerdem gab es eine Menge Skulpturen und Figürchen, vorwiegend Schäferinnen, Katzen und Schwäne, und überreich verzierte Vasen. Das ganze Porzellan- und Kristallzeug stand auf steif gestärkten Spitzendeckchen oder Läufern.
Die Wände waren bonbonrosa gestrichen, und der beige Tweed-Teppichboden lag unter verschiedenen kleineren Teppichen mit floralen Mustern begraben.
Im ganzen Zimmer roch es wie in einer Zedernholztruhe, die man mit Lavendelwasser ausgewaschen hatte.
Alles war blitzblank geputzt. Mitch stellte sich vor, dass jedes Stäubchen, das es versehentlich wagte, in solchen Pomp einzudringen, sofort von dem braven Hündchen aufgespürt und zur Strecke gebracht wurde.
»Bitte, nehmen Sie Platz. Ich sage Miss Harper, dass Sie da sind.«
»Vielen Dank, Miss …«
»Paulson. Jane Paulson.«
»Paulson?« Im Geiste überflog Mitch seine Familienstammbäume. »Also eine Verwandte von Miss Harper, väterlicherseits.«
Ein Hauch von Farbe stieg der jungen Frau in die Wangen. »Ja, ich bin Miss Harpers Großnichte. Entschuldigen Sie mich.«
Arme Kleine, dachte Mitch, als sie hinausschlüpfte. Er schlängelte sich zwischen den Möbeln hindurch und zwang sich, auf einem der Stühle Platz zu nehmen.
Kurz darauf hörte er das Einschnappen des Türschlosses und Schritte, und die Dame des Hauses erschien.
Obwohl sie dünn wie eine Bohnenstange war, hätte er sie nicht zerbrechlich genannt, trotz ihres Alters. Sie war eher, so dachte er nach dem ersten Blick, wie eine Figur aus Hartholz, von der vor lauter Wegschnitzen nur noch der Kern übrig war. Sie trug ein Kleid in kräftigem Violett und stützte sich auf einen Stock aus Ebenholz mit einem Griff aus Elfenbein.
Ihr Haar sah aus wie ein makelloser weißer Helm, und ihr Gesicht, ebenso hager wie ihr Körper, war voller Runzeln unter einer dicken Schicht von Puder und Rouge. Ihr Mund, schmal wie eine Klinge, leuchtete knallrot.
An Ohren und Hals trug sie Perlen, und an ihren Fingern prangten Ringe, die so grimmig funkelten wie ein Schlagringe.
Das Hündchen trottete hinter ihr her.
Mitch, der genau wusste, was er zu tun hatte, erhob sich und brachte sogar eine leichte Verbeugung zustande. »Miss Harper, es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen.«
Er ergriff ihre ausgestreckte Hand und führte sie bis kurz vor seine Lippen. »Ich bin sehr dankbar, dass Sie Zeit für mich gefunden haben.« Er überreichte ihr Rosen und Pralinen. »Ein kleines Zeichen meiner Wertschätzung.«
Clarise Harper nickte, was bedeuten mochte, dass die Gaben ihre Zustimmung fanden. »Vielen Dank. Jane, stell die hübschen Rosen in die Minton-Vase. Bitte, nehmen Sie Platz, Dr. Carnagie. Ihr Brief hat mich sehr neugierig gemacht«, fuhr sie fort, während sie sich auf die Couch setzte und ihren Gehstock an die Armlehne stellte. »Sie stammen nicht aus der Gegend von Memphis.«
»Nein, Madam. Aus Charlotte, wo heute noch meine Eltern und meine Schwester leben. Mein Sohn besucht die hiesige Universität; ich bin umgezogen, um in seiner Nähe zu sein.«
»Von seiner Mutter sind Sie geschieden, nicht wahr?«
Sie hatte ihre Nachforschungen angestellt, dachte Mitch. Nun ja, das war in Ordnung. Schließlich hatte er das Gleiche getan. »Ja, das stimmt.«
»Ich bin dagegen, sich scheiden zu lassen. Eine Ehe ist keine Vergnügungsfahrt.«
»Ganz gewiss nicht. Ich muss gestehen, dass meine Eheprobleme in erster Linie meine Schuld
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