Dunkle Rosen: Roman (German Edition)

Gläser ihrer Lesebrille funkelten Clarise Harpers Augen wie die eines Falken auf Beutezug. »Warum sind hier Hausangestellte und Bedienstete mit aufgeführt?«
    Diesbezüglich hatte Mitch hin- und herüberlegt, war aber schließlich seinem Instinkt gefolgt. »Einfach, weil sie mit zum Haushalt gehörten, Teil des Systems waren. Ich habe sogar Kontakt zu einer Dame, deren Ahnin eine Haushälterin in Harper House war – in der Kindheit Ihrer Mutter Victoria Harper. Das tägliche Leben sowie die Gesellschaften, für die Ihre Familie berühmt war, spielen in meinem Buch eine entscheidende Rolle.«
    »Und die schmutzige Wäsche?« Clarise Harper schnüffelte hoheitsvoll. »Die Art Geschichten, die das Hauspersonal gewöhnlich mitbekommt?«
    »Ich versichere Ihnen, dass es keineswegs meine Absicht ist, einen Skandalroman zu schreiben, sondern eine detaillierte, auf Tatsachen beruhende und gründlich erforschte Familienchronik. Eine Familie wie die Ihre, Miss Harper« – Mitch deutete
auf den Hefter – »hat sicherlich ihre Triumphe und Tragödien erlebt, ihre Erfolge und ihre Skandale. Ich kann und will nichts von dem ausschließen, was meine Nachforschungen zutage bringen. Doch ich glaube, die Geschichte und das Vermächtnis Ihrer Familie stehen weit über ihren menschlichen Schwächen.«
    »Schwächen und Skandale geben dem Ganzen außerdem die richtige Würze – das verkauft sich besser.«
    »Das will ich gar nicht abstreiten. Doch durch Ihren Beitrag dürften die positiven Seiten des Buches an Gewicht gewinnen, würde ich sagen.«
    »Durchaus.« Clarise Harper legte den Hefter beiseite und nippte an ihrem Tee. »Sie haben sicherlich bereits Kontakt zu Rosalind Harper aufgenommen.«
    »Ja.«
    »Und … zeigt sie sich kooperativ?«
    »Mrs Harper hat mir schon sehr geholfen. Ich habe einige Zeit in Harper House verbracht. Es ist einfach atemberaubend. Es zollt all dem Tribut, was Ihre Familie aufgebaut hat, seit sie nach Shelby County eingewandert ist, und es ist eine Hommage an Charme, Anmut und Beständigkeit.«
    »Mein Ururgroßvater hat Harper House erbaut, und sein Sohn hat es über den Angriffskrieg der Nordstaaten gerettet. Mein Großvater hat es erweitert und modernisiert, unter Bewahrung seiner Geschichte und seiner Tradition.«
    Einen Augenblick wartete Mitch darauf, dass sie fortfahren und vom Beitrag ihres Onkels zur Bewahrung des Familiensitzes erzählen würde. Als sie jedoch schwieg, nickte er nur. »Harper House ist ein Vermächtnis Ihrer Familie und einer der Schätze von Shelby County.«
    »Es ist in diesem Bezirk das älteste Haus seiner Art, das ununterbrochen von ein und derselben Familie bewohnt wurde. Meiner Ansicht nach gibt es nichts Vergleichbares, weder in Tennessee noch irgendwo sonst. Es ist nur ein Jammer, dass meine
Nichte keinen Sohn hervorbringen konnte, der den Familiennamen hätte weiterführen können.«
    »Mrs Harper trägt den Familiennamen.«
    »Und betreibt auf dem Harper’schen Grund und Boden einen Blumenladen.« Wieder gab Clarise Harper ein verächtliches Schnauben von sich, unterstrichen durch eine wegwerfende Geste ihrer beringten Hand. »Es bleibt zu hoffen, dass ihr ältester Sohn einmal verständiger und würdevoller mit seinem Erbe umgeht, wenn es ihm zufällt. Ich sehe allerdings keinerlei Anzeichen dafür.«
    »Ihre Familie war stets im Handel, in der Industrie, in geschäftlichen Dingen engagiert.«
    »Aber nicht zu Hause auf dem Privatbesitz. Es kann gut sein, dass ich mich Ihnen gegenüber kooperativ zeige, denn meine Nichte Rosalind ist wohl kaum die beste Quelle für die Geschichte unserer Familie. Daraus dürfen Sie schließen, dass wir nicht miteinander auskommen.«
    »Tut mir Leid, das zu hören.«
    »Es könnte kaum anders sein. Ich habe gehört, dass sie sogar Fremde, darunter eine Frau aus den Nordstaaten, eine Yankee, in Harper House wohnen lässt.«
    Mitch wartete einen Augenblick und merkte dann, dass sie von ihm eine Bestätigung erwartete. »Ich glaube, es gibt Hausgäste, darunter auch eine junge Frau, die über Mrs Harpers ersten Mann entfernt mit ihr verwandt ist.«
    »Mit einem unehelichen Baby.« Die leuchtend angemalten Lippen verzogen sich zu einem Strich. »Eine Schande.«
    »Eine … heikle Situation, aber so etwas kommt in jeder Familie vor, sogar recht häufig. Übrigens handelt eine der Legenden, die ich über das Haus und die Familie gehört habe, von einem Geist, dem Geist einer jungen Frau, die womöglich in der gleichen Lage