Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
jedoch irgendetwas in ihrem Blick ihm ans Herz rührte, umfasste er mit der freien Hand ihr Kinn und küsste sie sanft.
Roz wandte sich wieder der schönen Aussicht auf den Garten zu, der in der heraufziehenden Morgendämmerung silbrig schimmerte. Auf dieses Anwesen, das sich seit Generationen im Besitz ihrer Familie befand. War es das wert gewesen, fragte sie sich. War es den Schmerz und die Demütigung, die ein Mann seiner Frau zugefügt hatte, wert gewesen, diesen Grund und Boden unter einem Namen zu halten?
Roz ging zurück ins Haus und setzte sich Mitch gegenüber. »Hast du hier aufgehört zu lesen?«, fragte er sie.
»Ich musste das wohl erst einmal verdauen. Wie grausam er zu ihr war. Sie war keine bewundernswerte Frau, zumindest nicht nach dem, was ich ihren eigenen Tagebüchern entnommen habe. Egoistisch, auf sich selbst bezogen, kleinlich. Trotzdem verdiente sie etwas Besseres als das. Du hast mir keinen Sohn geschenkt, also besorge ich mir woanders einen. Entweder du akzeptierst das, oder du kannst gehen. Sie hat es akzeptiert.«
»Das weißt du noch nicht.«
»Doch, wir wissen es.« Roz schüttelte den Kopf. »Wir lesen den Rest auch noch, aber wir wissen es schon.«
»Ich kann das hier und die anderen Bücher selbst durcharbeiten. Später.«
»Nein, lass es uns jetzt tun. Schließlich geht es um mein Erbe. Schau mal, was du noch findest, ja? Ich gehe runter und mache Kaffee.«
Als Roz zurückkam, bemerkte sie, dass Mitch seine Lesebrille geholt hatte. Er sah ein wenig wie ein zerknitterter Professor aus, der eine Nacht durchgearbeitet hatte, dachte sie. Ohne Hemd, die Jeans nicht zugeknöpft, das Haar zerzaust.
Wieder durchströmte sie diese Zärtlichkeit, legte sich wie Balsam über den Schmerz in ihrem Herzen.
»Ich bin froh, dass du hier warst, als ich es gefunden habe.« Sie stellte das Tablett ab, beugte sich herab und küsste Mitch aufs Haar. »Ich bin froh, dass du da bist.«
»Hier steht noch mehr.« Mitch hob die Arme, um ihre Hände zu nehmen. »Soll ich es für dich zusammenfassen?«
»Nein, lies mir vor, was sie geschrieben hat. Ich will ihre Worte hören.«
»Es sind einzelne Bruchstücke; sie hat ihre Gedanken zu dem Thema hier und da in ihren Einträgen verarbeitet. Ihre Demütigung und ihren Zorn darüber. Sie hat ihren Mann dafür bezahlen lassen, auf die einzige Weise, die sie kannte, nämlich, indem sie sein Geld mit vollen Händen ausgab, ihn nicht mehr in ihr Bett ließ, auf Reisen ging.«
»Eine stärkere Frau hätte auf ihn gepfiffen«, sagte Roz, während sie Kaffee einschenkte, »hätte die Kinder genommen und ihn verlassen. Aber das hat sie nicht getan.«
»Nein, hat sie nicht. Die Zeiten waren damals für Frauen noch anders.«
»Die Zeiten vielleicht, aber Recht war auch damals schon Recht.«
Roz stellte Mitchs Kaffee ab und setzte sich nun neben ihn. »Lies es mir vor, Mitch. Ich will es wissen.«
»Also gut. ›Er hat den Bastard mit nach Hause gebracht, mit einer Schlampe von Amme, die er von einem seiner Landsitze angeschleppt hat. Nicht die Mutter, sagt er, die in ihrem Haus in der Stadt bleibt, wo er sie aushält. Jetzt hat er endlich seinen Sohn, ein brüllendes Etwas, das in eine Decke gewickelt ist. Ich habe das Baby nicht angeschaut und werde es auch nicht tun. Ich weiß nur, dass er den Arzt dafür bezahlt hat, dass er Stillschweigen bewahrt, und dass ich weiterhin im Haus zu bleiben und in den nächsten Tagen noch keine Besucher zu empfangen habe. Er hat dieses Etwas mitten in der Nacht in unser Haus gebracht, damit das Hauspersonal glaubt, ich hätte es zur Welt gebracht. Oder zumindest so tut, als würde es das glauben. Er hat ihm einen Namen gegeben. Reginald Edward Harper junior.‹«
»Mein Großvater«, murmelte Roz. »Armer kleiner Junge. Es ist ein anständiger Mann aus ihm geworden. Ein regelrechtes
Wunder, wenn man bedenkt, was er für einen Start ins Leben hatte. Steht da noch irgendwas über seine Mutter?«
»Nicht in diesem Buch, obwohl ich es noch einmal gründlicher lesen werde.«
»Es gibt bestimmt noch mehr, in einem der anderen Tagebücher. Sie ist hier estorben – Amelia, meine ich. Irgendwann muss Beatrice sie getroffen oder mit ihr gesprochen haben, oder sie stand auf irgendeine andere Weise mit ihr in Kontakt.«
»Ich fange gleich an zu suchen.«
»Nein.« Müde rieb Roz sich die Augen. »Nein, wir feiern heute eine Hochzeit. Heute ist ein Tag der Freude und des Neubeginns, nicht des Kummers und der alten Geheimnisse.
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