Dunkle Rosen: Roman (German Edition)
dass sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte, und das war gut so. Besser, als ihn als Gast zu bezeichnen; schließlich würde sie ihm ihre Familiengeschichte anvertrauen.
»Sie haben Recht, es ist schön, ein Feuer zu haben.«
Mitch kam zu ihr zurück, stellte seinen Kassettenrekorder auf und legte das Notizbuch bereit. Dann setzte er sich ans andere Ende des Sofas und wandte sich Roz zu. »Ich würde gerne damit anfangen, wie Sie Amelia zum ersten Mal gesehen haben.«
Er kommt gleich zur Sache, dachte Roz. »Ich glaube, ich kann mich an gar kein erstes Mal erinnern, nicht ausdrücklich. Damals war ich noch jung. Sehr jung. Ich erinnere mich an
Amelias Stimme, ihren Gesang, und es war irgendwie tröstlich, zu spüren, dass da jemand war. Ich dachte – zumindest soweit ich mich besinne –, es wäre meine Mutter. Aber meine Mutter schaute für gewöhnlich nachts nicht nach mir, und ich wüsste auch nicht, dass sie mir jemals etwas vorgesungen hat. Das war nicht ihre Art. Ich weiß noch, dass sie – Amelia – ein paar Mal kam, als ich krank war. Ich hatte eine Erkältung mit Fieber. Es war weniger so, dass ich einen Schock bekam, als sie zum ersten Mal auftauchte; sie war vielmehr einfach da, und das war irgendwie auch ganz normal.«
»Wer hat Ihnen von ihr erzählt?«
»Mein Vater, meine Großmutter. Eher meine Großmutter, nehme ich an. In unserer Familie wurde immer wieder beiläufig von ihr gesprochen, aber sehr vage. Man war einerseits stolz auf sie – bei uns spukt es, andererseits war der Familie das ein wenig peinlich – bei uns spukt es. Kam darauf an, wer von ihr sprach. Mein Vater glaubte, sie wäre eine der Harper-Bräute, während meine Großmutter darauf beharrte, sie wäre eine Hausangestellte oder eine Besucherin, eine Frau, die auf irgendeine Weise ausgenutzt wurde. Die hier gestorben ist, aber nicht blutsverwandt mit uns war.«
»Haben Ihr Vater, Ihre Großmutter, Ihre Mutter Ihnen je von ihren persönlichen Erlebnissen mit Amelia erzählt?«
»Meine Mutter bekam Herzrasen, wenn das Thema zur Sprache kam. Sie war ganz vernarrt in ihr Herzrasen.«
Mitch grinste über Roz’ trockene Bemerkung und sah zu, wie sie ein wenig Brie auf einen Kräcker strich. »Ich hatte eine Großtante, die genauso war. Sie bekam Schwächeanfälle. Ohne mindestens einen Schwächeanfall pro Tag fehlte ihr etwas.«
»Warum manche Leute es so toll finden, Beschwerden zu haben, ist mir schleierhaft. Meine Mutter hat ein-, zweimal mit mir über Amelia gesprochen, aber voller düsterer Vorhersagen – auch dafür hatte sie eine Schwäche. Sie warnte mich, dass ich eines Tages diese Last erben würde, und sie hoffte für
mich, dass es nicht meine Gesundheit ruinieren würde, so wie es ihr geschehen war.«
»Also hatte sie Angst vor Amelia.«
»Nein, nein.« Roz winkte ab und knabberte an einem Kräcker. »Sie genoss es, ewig leidend zu sein, so eine Art zitternde Märtyrerin. Was aus dem Mund ihres einzigen Kindes ziemlich hart klingt.«
»Nennen wir es lieber ehrlich.«
»Das kommt auf das Gleiche heraus. Auf jeden Fall waren es zu anderen Zeiten die Schwangerschaft und meine Geburt, die ihre Gesundheit zerstört hatten. Und wieder an anderen Tagen war sie so empfindlich, seit sie als Kind eine Lungenentzündung gehabt hatte. Ist ziemlich egal.«
»Im Gegenteil, es ist sehr hilfreich. Kleine Bruchstücke, persönliche Beobachtungen und Erinnerungen sind nützlich, der Anfang eines vollständigen Bildes. Was ist mit Ihrem Vater?«
»Mein Vater fand die Vorstellung, dass es bei uns spukte, meistens amüsant und hatte Amelia schon aus seiner Kindheit in guter Erinnerung. Dann konnte er aber auch verärgert oder peinlich berührt sein, wenn sie erschien und einen unserer Gäste erschreckte. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Gastgeber, und er fühlte sich zutiefst persönlich getroffen, wenn in seinem Haus einem Gast etwas Unangenehmes passierte.«
»Was für Erinnerungen hatte er denn?«
»Die gleichen, die Sie schon kennen. Sie unterscheiden sich kaum voneinander. Amelia hat ihm etwas vorgesungen, ist wie eine Art mütterliches Wesen zu ihm in sein Zimmer gekommen, bis er ungefähr zwölf war.«
»Keine Zwischenfälle?«
»Davon hat er mir zumindest nichts erzählt, aber meine Großmutter hat manchmal gesagt, er hätte als Junge Albträume gehabt. Nur einen oder zwei im Jahr. Dann hat er behauptet, er hätte eine weiße Frau gesehen, mit Glubschaugen, und in seinem Kopf konnte er sie schreien
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