Dunkle Seelen
betrachtete.
»Wenn man das nötig hat...«, sagte Isabella und machte sich kaum die Mühe, ihren Kommentar so leise anzubringen, dass nur Cassie ihn mitbekam.
»Sieht gut aus«, bemerkte Cassie und ignorierte ihre Freundin.
India knirschte mit den Zähnen, sichtlich verärgert über Isabellas schnippische Bemerkung, und wandte sich den anderen auserwählten Mädchen zu. »Ich werde ihn mir nach Hause schicken lassen.« Sie schlenderte auf den Ladenbesitzer zu, die Kreditkarte in der Hand.
Cassie wand sich innerlich. Isabellas milder Spott wuchs sich bisweilen zu unverblümter Agressivität aus, und es kam ihr vor, als würde sie zwischen zwei Stühlen sitzen. Fairerweise musste sie zugeben, dass auch die anderen Mädchen nicht ganz so herzlich waren, wie sie hätten sein können. Alles in allem verdarb ihnen die spannungsgeladene Atmosphäre den Ausflug. Cassie bereute es beinahe, Isabella eingeladen zu haben. Doch kaum hatte sie das gedacht, meldete sich auch schon ihr Gewissen. Nach allem, was Isabella für sie getan hatte. Nach allem, was Isabella geopfert hatte ...
Immerhin wirkte Isabella jetzt nicht mehr so unglücklich. Ihre Launenhaftigkeit hatte eine Schärfe und Explosivität, die seltsam beruhigend waren — sie glich wieder mehr der alten, reizbaren Isabella, auch wenn es ein wenig entnervend war. Ihr Gehabe erinnerte Cassie mehr und mehr daran, wie selbstbewusst und munter Isabella in früheren, glücklicheren Trimestern gewesen war, als ein gewisser Jemand im Zentrum fast all ihrer Energien stand. Tatsächlich, wenn Cassie es nicht besser gewusst hätte, hätte man meinen können, dass Jake sich bei ihrer Mitbewohnerin gemeldet hatte...
Aber natürlich hatte er das nicht getan. Wenn das der Fall wäre, hätte Cassie längst davon gewusst. Isabella hätte sie um zwei Uhr morgens geweckt und Freudentänze aufgeführt.
Doch wie man es auch betrachtete, zwischen ihr und ihrer Mitbewohnerin herrschte dicke Luft — so dick, dass man sie hätte mit einem Messer schneiden können. Dabei musste sie sich mit den Auserwählten anfreunden - und Isabella wusste das. Außerdem waren einige von ihnen wirklich in Ordnung, so wie Ayeesha zum Beispiel. Cassie respektierte diese Auserwählten, sie mochte sie, und außerdem hatte sie keine andere Wahl. Das musste Isabella doch klar sein?
Leider konnte Cassie sich nicht einfach wie die anderen reichen Mädchen an der Akademie mit einer Einkaufstherapie trösten und so ihre Schwierigkeiten vergessen. Gerade kicherten und plapperten sie über die nächste umwerfende, sündhaft teure Handtasche, nur unterbrochen durch Isabellas kritische Bemerkungen über ihren Geschmack. Cassie versuchte, sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Irgendetwas verursachte ihr Unbehagen — mal abgesehen von der angespannten Atmosphäre zwischen den Mädchen. Aber sie konnte nicht recht den Finger darauf legen. Vielleicht eine Bewegung, irgendetwas, das ihre Sinne reizte. Doch sie kam nicht drauf, was es sein konnte.
Estelle, dachte sie, spürst du es auch?
Ja, meine Liebe, antwortete der Geist ängstlich. Aber erneutes Gezänk zwischen den Mädchen unterbrach Cassies Unterhaltung. Sie redete sich ein, dass es nichts allzu Ernstes sein konnte, sonst hätte Estelle sie schon früher darauf aufmerksam gemacht. Wie dem auch sei, war es dumm. Denn dieser Teil der Stadt war unglaublich hübsch und das sollte sie genießen. Die Gassen schlängelten sich über Treppen zwischen alten Häusern mit bemalten Fensterläden und von Geranien überquellenden Blumenkästen hinunter zum Bosporus. Doch Cassie konnte nur daran denken, dass die scharlachroten Blüten aussahen wie verspritztes Blut. Als ein Blütenblatt auf die gepflasterte Straße hinabwehte, ertappte sie sich dabei, wie sie ihm auswich.
Und dann spürte sie es.
Ein Beobachter.
Sie drehte sich um und kniff die Augen zusammen.
So ein Quatsch. Sie bildete sich das nur ein; ihre Nerven lagen blank, das war alles. Sie war angespannt wegen Isabella und - oh, wegen allem anderen. Wer sollte sie hier verfolgen? Es konnte doch nicht...? Mit einer Mischung aus Hoffnung und Verärgerung erwartete sie einmal mehr ein vertrautes Prickeln zu spüren. Aber sie war sich nicht sicher. War es das? Oder war sie lediglich nervös und bildete es sich ein? Estelle schwieg wenig hilfreich.Vielleicht war es doch nicht Ranjit, dachte sie und ärgerte sich über sich selbst, weil sie enttäuscht war.
Aber wer war es dann?
Cassie zwang sich, Interesse
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