Dunkle Sehnsucht des Verlangens
drohte. Durch sie erkannte er den Jungen, den er in einen gnadenlosen,
unerbittlichen, einsamen Krieger verwandelt hatte. Jahrhundertelang hatte er
Zeit und Raum überwunden, um Julian zu quälen. Bis er dann eines Tages
plötzlich nicht mehr die Verbindung zu dem Schatten in Julian Savages Seele
hatte aufnehmen können. Aus dem Jungen war ein viel mächtigerer Mann geworden,
als sich der Vampir je hätte träumen lassen. Nun blieb ihm keine andere Wahl,
als Julian zu vernichten oder doch zumindest schwer zu verwunden, um eine
Chance zur Flucht zu haben. Zum ersten Mal in seinem langen Leben verspürte er
so etwas wie Furcht.
Der Anführer der Gruppe war in
einen Kampf mit seinen Lakaien verstrickt, doch der Untote musste jeden einzelnen
Schritt der Ghouls selbst kontrollieren. Wenn er sich von ihnen zurückzog,
würde Darius die Schlacht in kürzester Zeit gewinnen und sich dann mit Julian
verbünden, um den Untoten zu zerstören. Mit einem Wutschrei fuhr der Vampir
aus der Erde auf und stürzte sich auf Julian, die messerscharfen Krallen auf
die Augen des Gegners gerichtet.
Julian wandelte die Gestalt,
streckte sich aus und wurde zu einer langen, schuppigen, schlangengleichen
Kreatur, die mühelos den Krallen auswich und dann mit einem
Atemzug Flammen auf die groteske Gestalt des Vampirs spie.
Der Untote schrie auf, als er beobachten musste, wie das Feuer seine
Krallen wieder in gekrümmte schwarze Fingernägel verwandelte. Er fuhr herum,
und der nächste Schlag zielte auf Julians entblößte Brust.
Kapitel 16
Desari spürte, wie sich die
Hände des Untoten um ihren Hals legten und ihr die Luft abschnitten.
Gleichzeitig stellte sie auch fest, dass das Ungeheuer offensichtlich eine
schockierende Entdeckung gemacht hatte. Dies war der Vampir, der Julians
Kindheit zerstört hatte! Welche Pläne er auch immer verfolgt haben mochte -
jetzt kannte er nur noch das Ziel, ihren Gefährten zu vernichten. Er hatte sich
darauf konzentriert, Syndil in ihrem geschwächten Zustand anzugreifen und ihre
Familie gründlich zu studieren. Er hatte von Julians Anwesenheit nichts
gewusst, ehe er Desari berührt hatte.
Doch als der Untote ihre Stimme
zurückverfolgt hatte, hatte er Julians Witterung so mühelos aufgenommen, als
hätte er neben ihm gestanden. Desari war wütend auf sich selbst, weil sie weder
Julians Anwesenheit in ihren Gedanken noch seinen Duft auf ihrer Haut verborgen
hatte. Sie verfügte durchaus über die Fähigkeiten, eine so unbedeutende
Täuschung zu vollbringen, hatte jedoch einfach nicht daran gedacht. Jetzt
schämte sie sich für ihr Versagen.
Die Illusion der Knochenfinger,
die sich immer fester um ihren Hals legten, wirkte nur allzu real, doch Desari
stand einfach still und sang. Ihre Stimme drang direkt aus ihrem Herzen und
erzählte von Liebe und Mitgefühl, von furchtloser Stärke und ewigem Ehrgefühl.
Aus der Entfernung würde der Vampir seine Täuschung nicht lange
aufrechterhalten können. Einen Augenblick lang wurde Desari von einem
eigenartigen Gefühl der Wärme abgelenkt, das in ihrem Hals aufstieg, bis sie
feststellte, dass der Untote sich die Finger an ihrer Haut verbrannte. War das
Julians Werk? Desari löste sich von ihren körperlichen Empfindungen, damit sie
nicht mehr die skeletthaften Finger spüren musste, die versuchten, ihre
magische Stimme für immer zum Verstummen zu bringen.
Sie wusste, dass der
Vampir sie nicht wirklich berührte. Es war nichts als eine widerliche,
gefährliche Illusion. Desari sang weiter, ohne auch nur einen Augenblick lang
ins Stocken zu geraten. Sie konzentrierte sich ganz auf Syndil. Bleib bei mir. Bleib bei uns.
Ich werde dich immer in meinem Leben brauchen. Du darfst uns nie verlassen. Die
Welt braucht deine kostbare Gabe, sie darf nicht verloren gehen. Bleib bei mir,
Syndil. Geliebte Schwester, wenn wir dich verlieren sollten, würde meine Trauer
keine Grenzen kennen. Bleib bei mir. Kämpfe gegen das Ungeheuer, das dich von
deiner Familie entfernen will. Wir lieben und respektieren dich, und du darfst
uns niemals deiner Gegenwart berauben.
Die Melodie unterstrich Desaris
Worte auf wundersame Weise. Die Klänge erzählten von Mitgefühl und Verständnis,
von Sehnsucht und einer Liebe, die unerschütterlich war - der vollkommenen,
bedingungslosen Liebe einer Schwester. Die Harmonien schlugen Syndil in ihren
Bann. Sie wurde von Schuldgefühlen überwältigt, die ihre sanfte Seele quälten,
bis ihr Herz schließlich weinte. Syndil warf sich vor, den
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