Dunkle Sehnsucht
was nie passiert, nicht mal versehentlich. Andererseits hatte ich Vlad vorhin beinahe umgebracht, da sollten ihm seine Macho-Witze ausnahmsweise einmal ge-gönnt sein. Seine Sticheleien über mich ergehen zu lassen, war wohl das Mindeste, was ich als Wiedergutmachung tun konnte.
Und Mencheres würde meinen indiskreten Blick vermutlich als ausgleichende Gerechtigkeit betrachten. Er hatte mich immerhin schon ganz nackt gesehen, sodass er sich nicht beschweren konnte.
Als ich in meinem Zimmer angekommen war, sprang ich allerdings nicht gleich unter die Dusche. Vom schlechten Gewissen geplagt zog ich mein Handy hervor.
»Bones«, meldete ich mich, als er am Apparat war. »Ich weiß, wir haben uns heute Morgen erst gesehen, aber, wow, wie ich dich vermisse!«
Drei Tage später saß ich gerade auf der Couch und kraulte meinen Kater an seiner Lieblingsstelle hinter den Ohren, als ein leises Prickeln in der Atmosphäre mich aufsehen ließ.
Ich konnte inzwischen schon besser vorhersehen, wenn ein Geist auftauchte, der stark genug war, den stinkigen Schutz-wall aus Hasch und Knoblauch zu durchdringen, mit dem ich mich umgab.
»Besuch«, rief ich. Das war meine neueste Methode, Vlad und Mencheres vorzuwarnen, falls sie gerade etwas Verfängliches besprachen. Meines Wissens hatten die Gespenster, denen ich es befohlen hatte, tatsächlich nichts ausgeplau-dert, aber wir mussten das Schicksal ja nicht herausfordern, indem wir uns offen darüber unterhielten, in welche Bar wir als Nächstes gehen wollten.
Obwohl es vermutlich auch nicht weiter schlimm gewesen wäre. Seit dem Abend im Autokino hatten wir keine Ghul-Fanatiker mehr zu Gesicht bekommen. Vielleicht mieden sie die Orte, an denen sie sich sonst immer getroffen hatten, nachdem einige aus ihren Reihen verschwunden waren. Womöglich steckte aber auch etwas viel Einfacheres dahinter. Apollyons Spießgesellen bekamen ihre Nahrung samt und sonders frei Haus geliefert, sodass sie nicht mehr rausmussten, um sie sich zu beschaffen. Wir zogen trotzdem Abend für Abend los. Laut Dave waren Scythe und die Ghul-Bande, die ihn aufgenommen hatte, noch vor Ort. Irgendwann mussten sie sich zeigen.
Augenblicke später tauchte eine schattenhafte Gestalt in der Tür auf, noch so verschwommen, dass ich keine indivi-duellen Züge ausmachen konnte. Aus den nebligen Umris-sen formte sich schließlich ein schlanker Mann mit braunem Haar und Koteletten, wie man sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts getragen hatte.
»Fabian!«, rief ich, aber meine Wiedersehensfreude wich der Angst, als ich sein grimmiges Gesicht sah. »Ist Dave okay?«, erkundigte ich mich sofort.
»Noch«, stieß der Geist beinahe seufzend hervor. »Aber er will etwas sehr Dummes machen.«
Mein Kater fauchte, als ich aufstand und ihn dabei von meinem Schoß schubste. »Was?«
»Sich als Spion ertappen lassen«, antwortete Fabian.
Mencheres und Vlad kamen nach unten. Ich warf ihnen einen düsteren Blick zu, während ich bereits in meine Stiefel schlüpfte. »Wir müssen Dave holen, sofort«, informierte ich sie.
»Hat er vor, das in der nächsten Stunde durchzuziehen?«, wollte Mencheres wissen und legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Glaube nicht.« Fabian bedachte mich mit einem hilflosen Blick. »Er weiß nicht, dass ich hier bin. Ich habe ihm versprochen, es dir erst zu verraten, wenn er in ihrer Gewalt ist.
Aber ich habe dir geschworen, ihn zu beschützen und kann meinen Schwur nicht brechen, obwohl ich jetzt ihn hintergehe, indem ich dir Bescheid sage.«
»Du hintergehst ihn nicht , du rettest ihn«, antwortete ich im Brustton der Überzeugung, weil ich in der Vergangenheit selbst schon viele Fehlentscheidungen getroffen hatte. »Manchmal glauben die Leute, sie hätten keine andere Wahl, als sich selbst zu opfern, aber das heißt nicht, dass das auch stimmt. Und jetzt erzähl mal, warum Dave plötzlich meint, er müsste sich für uns vor den Zug werfen. Was ist passiert?«
»Gestern Abend wurde er auf eine außerplanmäßige Versammlung mitgenommen, während der Scythe angekündigt hat, dass er Memphis verlassen will, weil seine Arbeit hier erledigt ist. Seinen Anhängern hat er nahegelegt, sie sollten hierbleiben und an ihren Überzeugungen festhalten, weil ihre Bewegung bald so stark sein würde, dass sie offen gegen die Vampire vorgehen könnten.«
»Scheiße«, stöhnte ich, und Vlad stimmte mir grummelnd zu. In jeder Stadt, in die die Ghule zogen, infizierten sie andere mit ihrem
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