Dunkle Sehnsucht
dauern, bis entweder der Ghul in den Aufzug kam oder die letzte Notbremse unter der Last zweier sich attackieren-der übernatürlicher Kreaturen nachgab. Ich stützte mich mit den Armen auf dem Geländer ab, das an der Kabinenwand verlief, um kopfüber und mit aller Kraft nach dem Ghul zu treten. Das Geländer barst, sodass ich mit solcher Wucht auf dem Hosenboden landete, dass der Aufzug wieder bedenk-lich zu zittern begann, aber fürs Erste war der Ghul durch das Loch in der Decke nicht mehr zu sehen.
Ich stemmte die Türen auf, riss dem Mann das schluch-zende Kind aus den Armen und schob es durch die Öffnung.
Mit einem Aufschrei, der mich mit Freude erfüllte, landete das Mädchen draußen auf dem Boden. Es hatte vielleicht ein paar blaue Flecken abbekommen, war aber jetzt in Sicherheit. Bevor ich allerdings den Vater hinterherschieben konnte, sprang der Ghul mit einem lauten Brüllen durch das Loch in der Decke und landete bei uns im Aufzug.
Die Kabine erbebte so heftig, dass ich mir sicher war, sie würde abstürzen. Da mir keine Zeit blieb, in meinen Mantel zu greifen und meine Waffen hervorzuziehen, stürzte ich mich einfach Hals über Kopf auf den Ghul und stieß ihn von dem Mann weg. Metall kreischte, der Mann schrie, der Ghul und ich wüteten in der Fahrstuhlkabine, in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt, doch da hörte ich noch etwas. Eine zornig knurrende Stimme mit britischem Akzent.
»Kommt her, ihr verfluchten Bastarde !«
Einen Sekundenbruchteil lang wurde mir vor Erleichterung schwindelig. Bones war hier, und der Sterbliche wür-de überleben. Hätte ich den Ghul nicht von dem am Boden kauernden Mann fernhalten müssen - ein unbedachter Tritt oder Schlag des Körperfressers hätte sein Genick gebrochen wie einen trockenen Zweig -, hätte ich mir meine Waffen schnappen und unsere Chancen ein wenig ausgeglichener gestalten können. Doch schon im nächsten Augenblick hörte ich ein lautes Krachen, der Boden unter meinen Füßen sackte weg, und mit meiner Erleichterung war es vorbei.
O Gott. Die Kabine stürzte ab!
Alles um mich herum bebte, der Fall hob uns ein paar Zentimeter in die Luft, bevor die Schwerkraft wieder einsetzte und meine Füße auf den Boden zurückzog. Während der Ghul mir ein hasserfülltes Grinsen schenkte, kreischte der Mann so laut, dass er sogar den Lärm der abstürzenden Fahrstuhlkabine übertönte. Der Ghul und ich würden den Crash womöglich überleben, auch wenn ich mir sicher war, dass der Ghul keine Mühe scheuen würde zu verhindern, dass ich es danach noch lange machte. Der Mann allerdings hatte nur noch ein paar Augenblicke.
Mit dem Silbermesser auf mein Herz zielend stürzte der Ghul sich auf mich. Statt die Arme zu heben, um ihn aufzuhalten, trat ich in letzter Sekunde beiseite. Die Messerklinge grub sich in meine Brust, durchtrennte brennend schmerzhaft mein Fleisch, ohne jedoch in mein Herz ein-zudringen. In dem Augenblick stieß ich den Ghul mit aller Kraft seitlich nach unten in Richtung der Lichtblitze, die durch die ein Stück weit geöffneten Türen der immer schneller stürzenden Aufzugkabine drangen.
Ein Knirschen war zu hören, und der Körper des Ghuls erschlaffte, nachdem er in dem engen Spalt zwischen den Türen von den vorbeirasenden Stockwerken geköpft worden war. Ich vergeudete keine Zeit damit, meinen Sieg aus-zukosten, sondern zog mir das Messer aus der Brust, packte den Mann und versuchte seinen Kopf so gut es ging mit meinem blutigen Leib zu schützen. Über ihn gebeugt und ihn an mich drückend katapultierte ich mich schließlich mit aller Kraft nach oben.
Sengender Schmerz durchfuhr mich, sodass ich das Ge-töse, das folgte, kaum mitbekam. Staub, Glas und Blut vernebelten mir die Sicht, ich konnte kaum sehen. Hinauf !,
dachte ich nur, dicht gefolgt von: Nicht loslassen! Mehrere harte Objekte kollidierten mit mir, und ich blinzelte hektisch, um besser sehen zu können, während ich den Mann weiter umklammert hielt. Was mich da mit solcher Wucht traf, konnten weitere mordlustige Ghule sein oder der Aufzugschacht, gegen den ich während meiner blinden Flucht vor den Trümmern der am Boden zerschellenden Kabine krachte.
»Kätzchen!«
Bones' Ruf gab mir Orientierung. Aus Schatten wurden feste Gegenstände, als sich mit vampirischer Schnelligkeit meine Sehfähigkeit wieder einstellte. Vor meinen Augen war noch immer alles rot, aber mehr Farben brauchte ich auch nicht zu sehen, um zu wissen, dass ich den Mann und mich vermutlich
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