Dunkle Sehnsucht
er bloß? , fragte ich mich.
Vlad zuckte mit den Schultern. »Erweisen sich eure Informationen als nützlich, lasse ich euch irgendwann wieder gehen. Bis dahin seid ihr meine Gefangenen, aber am Leben, was eure Freunde nicht von sich behaupten können«, verkündete er mit einem Kopfrucken in Richtung der Leichen.
Der Ghul grunzte. »Warum sollte ich dir glauben, dass du mich wirklich am Leben lässt?«
Vlad wurde sehr still, aber in seinen Augen blitzte es ge-fährlich. »Nenn mich noch einmal Lügner«, sagte er, jedes Wort eine Drohung.
Auch wenn sein Zorn nicht gegen mich gerichtet war, überlief mich ein kalter Schauder. Wieder einmal war ich froh, Vlad nicht zum Feind zu haben.
Der jüngere Ghul klappte immer hektischer den Mund auf und zu. Ich warf ihm einen genervten Blick zu. Eine solche Drama-Queen konnte man während eines Verhörs einfach nicht brauchen. Dann aber wurden meine Augen schmal, und ich packte den Ghul beim Hemd, bevor Vlad weitersprechen konnte.
»Mach den wieder Mund auf«, sagte ich, weil er ihn auf meinen Griff hin offenbar aus Überraschung geschlossen hatte.
»Nicht«, wies der narbige Ghul ihn an.
Ich brach ihm mit einem Tritt zur Seite das Knie, ohne auch nur einmal den Ghul aus den Augen zu lassen, den ich am Kragen gepackt hatte. Plötzlich, mit einem Blick, den ich jetzt als flehend erkannte, öffnete der Ghul den Mund. Weit.
»Jesus, Maria und Joseph«, keuchte ich.
Unverwandt starrte ich dem Ghul in den Mund. Nur ein narbiger Stummel zeigte an, wo seine Zunge hätte sein sollen. Das konnte ihm nicht als Untoter angetan worden sein.
Abgetrennte Körperteile von Ghulen wuchsen nach, wie die von Vampiren. Die Narben bewiesen auch, dass die fehlende Zunge keine angeborene Missbildung sein konnte. Jemand hatte ihn also verstümmelt und kurz darauf zum Ghul gemacht, denn die Wunde wirkte noch relativ frisch. Hätte sie vor seiner Verwandlung bereits einige Zeit heilen können, wäre das Gewebe viel glatter gewesen.
Und ich kannte nicht viele, die sich einer derartigen Pro-zedur freiwillig unterworfen hätten. Zumal wenn sie so jung waren, wie der Ghul gewesen sein musste, als man ihm das angetan hatte.
Aber trotzdem ...
Ich wirbelte herum, packte den anderen Ghul und schob ihm mein Messer in den Mund, um ihn daran zu hindern, ihn zu schließen.
»Hast du etwas damit zu tun?«, fragte ich ihn und stieß das Messer tiefer. »Lüg mich an, und ich schwöre bei Gott, Vlad muss kotzen, wenn er sieht, was ich mit dir anstelle.«
»Ich habe ihm das nicht angetan«, antwortete der Ghul sofort. Sein Blick huschte an mir vorbei. »Ich lüge nicht. Er kam schon so in unsere Gruppe.«
»Und wer hat ihn euch gebracht?«, erkundigte ich mich und stieß dem Mann das Messer so tief in den Rachen, dass es bestimmt schon an den Nebenhöhlen kratzte, aber das war mir egal. Verstümmelung. Zwangsverwandlung eines Teenagers. Der Ghul vor mir hatte es womöglich nicht selbst getan, aber er war daran beteiligt gewesen.
»Du weißt, wer«, krächzte der Ghul.
Ich blieb ungerührt. »Nenn mir den Namen. Überzeuge mich, dass ich dir glauben kann.«
Wieder vibrierte mein Handy an meiner Hüfte, aber ich ignorierte es, weil ich mich voll und ganz auf den Ghul vor mir konzentrieren wollte.
»Apollyon.« Der Name klang fast wie ein Seufzer. »Er hat noch andere wie Dermot in seiner Sippe. Er nimmt sich Kids, die noch jung und nicht besonders schlau sind, verstümmelt sie und verwandelt sie dann. Sie geben gute Schläger ab.
Können nirgendwo anders hin, nicht reden, nicht besonders gut schreiben, also wissen wir, dass sie uns nicht verraten können.«
Ich hatte mich die ganze Zeit schon für wütend gehalten, aber der wilde Zorn, der mich jetzt erfüllte, übertraf alles Bisherige. Meine Hände zitterten, das Messer drang dem Ghul immer tiefer in den Rachen. Er kreischte, so gut er es mit dem Messer im Mund eben konnte.
»Cat.« Vlads Stimme war leise, aber volltönend. »Stopp.
Wir brauchen ihn lebend.«
Ich wusste, dass er recht hatte. Dass wir, wenn wir den Ghul umbrachten, nicht herausfinden würden, ob er wusste, wo Apollyon war, und das war von größter Wichtigkeit. In mir allerdings existierte nur noch der Wunsch, den Ghul, der an diesem grausamen Verbrechen beteiligt gewesen war, zur Strecke zu bringen, sodass ich ihm das Messer immer tiefer in den Schädel schob. Dermot konnte nicht älter als siebzehn gewesen sein, als man ihn gefoltert, getötet und zu dieser Existenz
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