Dunkle Spiegel
Schweißperlen auf seiner Kopfhaut glitzern. Die Sekunden verrannen, doch er rührte sich nicht. Dann schloss ich die Tür langsam wieder und sah ihm in die Augen.
“Wir haben uns verstanden?” fragte ich ihn leise und ebenso vertraulich, wie er es zuvor versucht hatte.
Er sah mir lange ins Gesicht, bevor er seinen Oberkörper streckte, sein Jackett am Saum straff nach unten zog und seine zittrigen, dünnen Finger den Krawattenknoten gefunden hatten, um ihn etwas zurecht zu rücken.
Seine Augen sprachen Bände und zeigten deutlich, was in ihm vorging: er verspürte den Hauch von Angst und Abscheu. Die Ungläubigkeit stand ihm noch immer ins Gesicht geschrieben.
Willkommen in der Wirklichkeit!
“Ich habe hier eine Liste der Chats, um die es sich augenscheinlich handelt. Würden Sie bitte einen Blick darauf werfen?” sagte er dann nach einem leisen, verlegenen Räuspern, doch man hörte, dass sein Mund sehr trocken war. Seine Stimme kratzte bei jeder Silbe.
Ich überflog die Seite mit den Namen der Chaträume, wobei fünf von ihnen fett gedruckt hervorstachen.
“Ja, das sind sie! Diese Fünf sind am wichtigsten! Wir vermuten hier die Quelle.”
“Vielen Dank, Detective Crocket. Ich werde Sie darüber in Kenntnis setzen, sobald es etwas Neues gibt.”
“Nein.” warf ich rasch ein. “Sie werden mir sofort sagen, welche Antwort Sie erhalten haben. Nicht erst, wenn es etwas Neues gibt. Ist das klar?”
Arthur Hicks, der steife, schwarze Anzug aus der Rechtsabteilung, nickte wortlos. Dann verschwand er ebenso leise, wie er gekommen war. Bald schon war er im Gewusel verschwunden.
Ich stand recht verloren an Ort und Stelle, als Ramirez auf mich zugeschlurft kam. Missmut und Ratlosigkeit war in seinem Gesicht zu sehen. Er sah mich fragend an und ich erzählte ihm in zwei Sätzen von meinem Besucher.
Ramirez nickte nur. “Und jetzt?” knurrte er.
“Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich habe fast den Eindruck, als könnten wir heute rein gar nichts mehr unternehmen.”
“Dann gehen wir doch ins Billie´s. Was trinken. Ich lad` dich ein. Ich glaube, wir können es beide nur zu gut gebrauchen.”
Ich nickte dankbar für seinen Vorschlag. Auch wenn es mir vor zwei Minuten noch absurd vorgekommen wäre, mich gerade jetzt an einem kühlen Budweiser zu erfreuen.
Unschlüssig schwankte ich hin und her.
“Was ist denn, Kumpel? Geht´s dir etwa nicht gut?”
Statt einer Antwort setzte ich mich wieder hin und massierte nachdenklich mein Kinn. Ramirez betrachtete mich verwundert und setzte sich dann vorsichtig neben mich auf die Tischkante.
“Was ist los? Diesen Ausdruck sehe ich heute nicht zu ersten Mal bei dir. Seit wir an diesem Fall arbeiten hast du zwischendurch immer wieder solche Momente. Was bedrückt dich so?”
Tja, das war eine gute Frage. Was bedrückte mich? Ich spürte, dass da etwas in mir rumorte, aber ich konnte es nicht greifen, es nicht in Worte fassen. Schließlich sagte ich: “Diese Ermittlungen dauern einfach schon viel zu lang. Und wenn ich sehe, dass uns Tag für Tag die Köpfe rauchen, wir aber kaumeinen richtigen Schritt voran kommen, dann frage ich mich, ob wir diesen Fall überhaupt jemals knacken.”
“Du bist frustriert.” stellte Ramirez überzeugt fest. “Aber ich glaub´, dass da noch was anderes dahinter steckt. Dir geht dieser Fall ganz schön unter die Haut, was? Ich meine, jeder von uns bleibt mit seinen Gedanken immer und überall an einem Fall hängen den er bearbeitet. Aber bei dir scheint es mir, als würde er dich mehr belasten als andere Fälle. Warum? Was ist der Grund dafür?”
Ich wiegte den Kopf hin und her, bevor ich antwortete: “Diese Frage habe ich mir in den letzten Wochen auch schon gestellt. Und je länger die Ermittlungen dauern, umso häufiger denke ich darüber nach. Du hast Recht, ich denke nicht nur einfach über diesen Fall nach, sondern es ist mir, als würde ich richtig mitleiden! Aber … ach, ich weiß einfach nicht genau, wie ich es ausdrücken soll.”
Ramirez sah mich eine Zeitlang schweigend an. Dann fragte er leise: “Hast du etwa schon mal an einem ähnlichen Fall gearbeitet?”
Mit einem Mal verkrampfte sich mein Magen und längst vergessen geglaubte Erinnerungen wucherten in meinem Kopf empor.
Das war es also!
“Ja, da gab es tatsächlich einen solchen Fall. Ein brutaler Frauenmörder, der seine Opfer mit verschiedenen Werkzeugen folterte, bevor er sie erstach. Ich war gerade frisch auf diesem Department und durfte
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