Dunkle Spiegel
irgendetwas störte mich noch. Es war wie eine kleine Nadelspitze, die mich ständig stach ohne dass ich wusste, wo genau sie saß.
“Der Mörder kennt sich mit Computern und Chaträumen aus.” sprach ich weiter, mehr zu mir selbst oder in den Raum als zu Ramirez. “Und wir können davon ausgehen, dass er versucht hat, mit seinen Opfern bis zum Schluss Kontakt über den Chat zu halten - auch wenn er unterwegs war. Deshalb hat er auch bei Adriana Lion diesen Sender eingesetzt. Er hätte ja schließlich auch einfach auf einen günstigen Augenblick warten und sie im Schlaf überwältigen können. Aber nein, er genießt die Situation, in der sich seine Opfer befinden und reizt dieses Spiel bis zum Ende aus. Würde jemand, der über solche technischen Möglichkeiten verfügt, nicht auch einen Weg finden, einer normalen Registrierung für einen solchen Chat zu entgehen?”
“Ich denke schon. Ein Hacker hätte da sicher keine Probleme, sich einzuloggen, ohne erkannt zu werden.”
“Ja … ein Hacker … aber der schleust sich in der Regel von Außen in ein System ein!” Ich ließ meinen Gedanken jetzt einfach freien Lauf. Und langsam ergab sich für mich ein Muster. Das Muster, nach dem ich so verzweifelt gesucht hatte! Alles schien plötzlich einen Sinn zu ergeben.
“Unser Mann aber greift nicht von außen an, denn das wäre ihm viel zu aufwendig. Er hat eine Möglichkeit gefunden, sich problemlos ein- und wieder auszuwählen. Und das völlig unsichtbar und ohne Spuren zu hinterlassen.”
“Also wenn ich mir vorstelle, dass es da draußen irgendwo große Computer gibt, über die diese Chaträume gesteuert werden, wo dann auch die Person sitzt, die das alles im Auge behält … wie nannte Chapler das doch noch gleich? - ach ja, der Master , der die Kontrolle über alles hat … also, dann würde ich versuchen, das Gerät irgendwie direkt zu manipulieren.”
Entgeistert sah ich ihn an.
“Aber frag mich jetzt bitte nicht wie, denn das übersteigt nämlich bei weitem meinen Horizont!” wehrte der gleich mit erhobenen Händen ab. “Vielleicht hat er ja auch noch einen Komplizen.” schob er gleich noch als Erklärung nach.
“Ricardo! Das ist es! Er greift nicht von außen an, weil er es einfach nicht nötig hat! Und weißt du warum? - Weil er schon an der Quelle sitzt!” Ich sprang auf und durchquerte einmal den Raum.
Ramirez´ Einwand war natürlich berechtigt. Es konnte ja durchaus noch ein Komplize existieren. Aber würde das zu Karl Gumbler passen? Wenn es stimmte, was wir vermuteten, dann wies alles auf einen sehr egozentrischen Menschen hin, der neben sich wohl kaum eine zweite Person dulden könnte. Erst recht nicht, wenn er sich zu dieser Person in einer Art Abhängigkeitsverhältnis befinden würde, wie es der Fall wäre, wenn er nur über eben diese Person sein Ziel erreichen könnte.
Als ich wieder vor dem Stapel der Mitarbeiter stand, griff ich langsam nach den Bögen und fächerte sie auf. Jedes Blatt trug einen farbigen Balken an der Oberseite. Grün für Büroangestellte, Blau für Techniker, Orange für Systemadministratoren.
“Wer auch immer die Computer für die Chaträume manipuliert, muss ein Mitarbeiter des Konzerns sein! Und er sitzt unmittelbar an den Computern. Entweder ein Techniker oder ein Administrator!” Mit einem schnellen Handgriff hatte ich alle entsprechend farbigen Bögen aus dem Haufen gezogen. Ramirez trat neben mich. Ich gab ihm den Stapel mit den Personaldaten der Techniker und behielt die Bögen der Systemadministratoren in der Hand.
“Praktisch, da sind sogar die Passfotos der Personen recht gut zu erkennen.” meinte Ramirez und schnalzte mit der Zunge.
“Das sind die hausinternen Personalakten. Unsere beste Chance!”
Langsam begannen wir jeder für sich Blatt für Blatt durchzugehen. Wir überflogen die Adressen, die Qualifikationen, die Bilder.
„Mann, ein paar von diesen Fotos würden sich aber ausgezeichnet in unserer Verbrecherkartei machen.“ feixte Ramirez. „Oder man sollte den Fotografen verhaften. Sowas gehört doch verboten …“
Weiter. Der nächste Bogen. Ich spürte, wie das Adrenalin in meinen Adern pulsierte und meine Hände leicht erzittern ließ.
Plötzlich bemerkte ich, dass Ramirez nicht mehr weiter in den Papieren blätterte. Ich hielt inne und sah ihn von der Seite an.
Sein Mund war eine einzige, dünne Linie, die Lippen hart aufeinander gepresst der Blick starr auf das Blatt vor ihm gerichtet. Dann hob er den Kopf und sah
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