Dunkle Spiegel
dann los!” sagte ich, wobei ich deutlich ein tiefes Einatmen bei den Polizisten hören konnte, wie sie der Reihe nach das Büro verließen, um sich draußen raschen Schrittes auf die Fahrzeuge zu verteilen. Ich wusste genau, was in den einzelnen Köpfen in diesem Moment vorging. Natürlich hatten sie alle schon genügend Erfahrung mit Verbrechern, der eine mehr, der andere weniger. Aber die Jagd auf einen Mörder war immer noch etwas nicht Alltägliches. So etwas brachte das Blut ganz besonders in Wallung und das Adrenalin spielte seinen ganz eigenen Takt zur Musik.
Ich gab Ramirez ein Zeichen und nahm meine Jacke. Sein grimmiges Lächeln zeigte mir deutlich, was er dachte: endlich kriegen wir ihn!
Vor dem Konferenzraum wartete schon Chapler auf uns.
“Geht´s los?” fragte dieser mit fester Stimme. Ich vernahm nicht die geringste Spur von Unsicherheit oder gar Angst. Bewundernswert! Er war durch diese ganze Ermittlung reifer und gefasster geworden als ich es ihm anfangs zugetraut hätte.
“Ja, es geht los!” Ramirez grinste noch etwas breiter, bleckte die Zähne und boxte Chapler auffordernd gegen die Schulter.
Die Jagd begann!
*** 74 ***
Ramirez lenkte den Wagen mit hoher Geschwindigkeit durch die noch völlig leeren, verschlafenen Straßen. Der frische Morgen war noch nicht ganz angebrochen und das tiefschwarze Blau der Nacht kämpfte am Horizont schon mit dem ersten, langsam herannahenden Licht des Tages. Es würde noch fast eine Stunde dauern, bis die ersten schwachen Sonnenstrahlen durchbrechen würden. Die Luft war noch feucht und waberte klebrig über der Stadt.
Es war eine Atmosphäre, die ich für gewöhnlich sehr genoss. Diese Ruhe und das stille Erwachen hatte so etwas, was mir immer wieder Energie und Kraft verschaffte - und einen klaren Kopf. Doch heute hatten wir leider keine Zeit. Ich hatte für uns drei die anspruchsvollste Aufgabe vorgesehen. Und um die erfüllen zu können, hatte ich die Autoscheibe ganz heruntergedreht und hielt die Nase in den kühlen Fahrtwind. Die erfrischende Wirkung befreite meinen Kopf vom Nebel der Müdigkeit, der unnachgiebig mit meinen letzten Kraftreserven rang und Stück für Stück die Oberhand gewann. Aber noch durfte ich dem nicht nachgeben. Nicht jetzt, so kurz vor dem erhofften Ziel. Wir würden den Keller absuchen!
Mein Gefühl sagte mir, dass eine Ratte sich am liebsten an einem Ort verstecken würde, den sie gut kennt und den sie demzufolge auch als ihr Territorium betrachten würde. Dorthin würde sie sich dann auch verkriechen und vor neugierigen Augen sicher sein, wenn es für sie sonst zu gefährlich werden würde. Und Karl Gumbler war für mich der Inbegriff einer Ratte!
Aus der Personalakte kannte ich seinen Arbeitsbereich jetzt ganz genau. Er war Computerexperte und speziell für die Wartung der Hauptserver der Firma ChipsEnterprises verantwortlich. Damit trug er nicht nur eine beachtliche Verantwortung, sondern hatte darüber hinaus Zugang zum Herzstück der Firma und konnte sich dort in den Kelleranlagen praktisch ungestört herumtreiben.
Und wieder erkannte ich diese Parallelen: der Keller in seinem Haus und die Kellergeschosse unter dem Firmengebäude. Sein Arbeitsplatz stellte für ihn gleichzeitig den Schlüssel zu seiner Obsession dar. Zu seiner Sucht. Zu seinem mörderischen Treiben. Er arbeitete direkt an den Servern, an die das gesamte Netzwerk der Firma angeschlossen war und über die auch ihre Chaträume, dieses lukrative Nebengeschäft, gesteuert wurden. Er musste eine Möglichkeit gefunden haben, die Server und damit die Chaträume anzuzapfen, so dass er sich ohne Registrierung darin bewegen konnte, ohne von irgendjemandem - wie dem Master des Chats - bemerkt zu werden! Die Chaträume, in denen er seine Opfer ausfindig machte, während er von seiner Frau unentdeckt in einem kleinen Raum hinter dem Schrank gesessen und mit jungen, ahnungslosen Frauen geflirtet hatte. Und eben diese armen Frauen waren ihm dann zum Opfer gefallen, wenn er sie in ihrer Wohnung aufgesucht und ermordete hatte, nachdem er seine sexuellen Phantasien an ihnen ausgelebt hatte!
Alles fügte sich zu einem einzigen, grausamen und abscheulichen Bild zusammen. Aber heute würden wir ihm das Handwerk legen! Durch die ruhigen Fahrbewegungen des Wagens gewann der Schleier der Mattheit wieder für einpaar Sekunden die Oberhand. Wieder tauchten wie aus einer dunklen, verschwommenen Masse vor meinen Augen die Fotos der Opfer auf. Ihre anklagenden Blicke waren
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