Dunkle Spiegel
konnten.
“Da ist mir ja jede einfache und noch so lange Observierung in strömendem Regen lieber!” Ramirez bog sein Kreuz durch, so dass man die Knochen knacken hören konnte. “Ich habe schon in der Zentrale angerufen und um neuen Kaffee gebeten.”
Chapler schaltete den Monitor aus. “Ich gebe zu, sehr hilfreich war das jetzt nicht gerade.” Er seufzte, und die Enttäuschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
“Mach dir nichts draus. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Und wir haben ja noch drei Chatseiten vor uns.”
“Ja. Noch drei, wobei das jetzt der harmloseste von allen war. Aber wenn ich dran denke, was wir hier schon für Angebote bekommen haben, dann will ich mir gar keine Vorstellung davon machen, was wir in den anderen Chats geboten bekommen. Das ist doch pervers.” sagte Chapler im Brustton tiefster Überzeugung. Er schüttelte sich.
Ramirez begann laut zu lachen. “Pervers? Jetzt mal Butter bei die Fische: was ist denn pervers ? Etwa Lack und Leder? Mal ehrlich, ich kann mir auch nicht vorstellen, bei so etwas in Fahrt zu kommen, aber andere ja wohl schon. Man hört ja auch so oft von Männern, die einfach nur die Füße einer Frau lieben. Die Füße. Weiter nichts. Oder ihre Schuhe. Ist das etwa pervers?”
“Ich gebe dir ja recht, Ricardo.” meinte ich. “Perversion liegt immer auch ein wenig im Blick des Betrachters. Was wir als abartig bezeichnen würden, ist für andere vielleicht völlig normal. Manche empfinden ja sogar schon einen Vibrator als obszön und pervers - aber das finde ich jetzt zum Beispiel in keinster Weise irgendwie anstößig oder verwerflich. Nicht im Geringsten. Ich finde, jeder soll seinen Spaß haben.”
“Jeder auf seine Weise.” meinte Chapler, und fügte mit erhobenem Zeigefinger hinzu: “Aber bei Sex mit Tieren oder mit Kindern - da hört der Spaß auf! Und bei den anderen Sachen, die sich in diesem Sado-Maso-Bereich abspielen, muss man ja auch berücksichtigen, dass es immer zwei Seiten gibt: einen der quält, und einen, der sich zum Beispiel quälen lässt.”
“Da sind wir uns einig.”
“Aber jetzt mal eine ganz andere Frage,” warf Ramirez ein, “wie kommt man auf die Idee, sich im Internet zu vergnügen? Was treibt die Menschen in einen Chat? Haben die verlernt, jemanden in der Diskothek anzusprechen und kennenzulernen?”
“Eine interessante Frage: was führt jemanden in so einen Chatroom? Mir würden da direkt ein paar Dinge einfallen: Sex, der Reiz des Unbekannten undvielleicht noch dazu auch des Verbotenen. Dann noch eine Prise Voyeurismus - et voila!” entgegnete ich lächelnd.
“Was für ein interessantes Thema. Warum hat man mir nicht vorher Bescheid gesagt? Da wäre ich gerne von Anfang an dabei gewesen.”
Elora Blend stand plötzlich da. Ihr dunkles, glattes Haar, das sie in einem Pferdeschwanz locker gebunden trug, glänzte sogar in diesem schummrigen Licht. Zwei dünne Strähnen drehten eine verspielte Pirouette und umrahmte ihr schmales Gesicht. Ihre rehbraunen, mandelförmigen Augen blickten uns neugierig und amüsiert entgegen. Die graue Stoffhose war leicht ausgestellt und wirkte an ihr gleichermaßen elegant wie figurschmeichelnd. Eine helle Bluse sowie eine cremefarbene Kette aus kleinen Perlen um ihren schmalen Hals rundeten ihr frisches Outfit ab. Kurz: sie sah umwerfend aus wie immer.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Chaplers Miene. Sein Blick war fast verträumt auf unsere junge Kollegin gerichtet, seine Pupillen weit geöffnet und ein fast euphorisches Lächeln versteckte sich in seinen Mundwinkeln.
Dachte ich´s mir doch! Unauffällig stieß ich ihn mit dem Fuß an. Sofort blickte er, fast beschämt, aber auf alle Fälle ertappt, unter sich.
Ich ahnte schon seit längerem, dass er eine große Schwäche für Elora hatte. Sie war etwa in seinem Alter, warmherzig, freundlich und darüber hinaus sehr hübsch.
Aber erst jetzt, in diesem etwas trüben Licht, fiel mir etwas auf, woran ich vorher nicht denken konnte: Elora Blend hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Adriana Lion. Ob Chaplers Ehrgeiz und seine versteckte Wut über dieses Verbrechen auch damit zusammenhingen? Ich hätte es absolut verstehen können.
“Elora, dich schickt der Himmel!” flüsterte Ramirez ihr zu und setzte seinen Dackelblick auf. Sie stellte die Thermoskanne und ein paar Kekse auf den Tisch, ohne auf Ramirez herzerweichende Augen zu achten und lächelte mich über die Schulter an. “Darf ich neugierig sein? Worum
Weitere Kostenlose Bücher