Dunkle Spiegel
und riss mich damit aus meinen Gedanken.
Er hatte Recht. Mit einer raschen Handbewegung sammelte ich die Berichtsbögen auf dem Tisch ein, steckte sie in einen leeren Ordner und ließ ihn neben mir auf den Boden fallen.
Merkwürdigerweise verschaffte mir ein gewisses Gefühl von Erleichterung.
“Gehen wir die Sache noch einmal an. Und dieses Mal von Grund auf. Vielleicht haben wir irgend etwas übersehen!” sagte ich ermutigend.
Drei Stunden zermarterten wir uns den Kopf. Wir diskutierten die Grundfragen, erstellten das Profil des Täters noch einmal völlig neu, fassten unsere Vermutungen über seine Absichten zusammen und suchten nach seinen Gewohnheiten, die wir bis jetzt erkennen konnten. Dann gingen wir die Tatortbesichtigungen noch einmal Stück für Stück durch und sahen uns alle gesicherten Indizien noch einmal an. Wir schrieben uns jede noch so unbedeutend erscheinende Kleinigkeit auf ein Blatt, von denen wir dachten, sie bisher in unseren Überlegungen noch nicht berücksichtigt zu haben.
Nach diesen drei Stunden warf ich den Bleistift in die gegenüberliegende Ecke des Raums und bedeckte meine Augen mit meinen Händen.
Ich genoss dieses Dunkel vor mir. Diese kleinen Funken, die wild und ohne Muster völlig haltlos vor meinen Augen umhertanzten.
“Langsam erkenne ich die Andeutung eines Musters.” meinte ich schließlich zu Ramirez, ohne aufzusehen. “Punkt eins: diese Morde, die jetzt als einzelne Fälle vor uns liegen, müssen alle vom selben Täter verübt worden sein!” Ich öffnete die Augen wieder und fügte überzeugt hinzu: “Es handelt sich definitiv um einen Serienmörder!”
“Sein Motiv kennen wir aber leider immer noch nicht!” meinte Ramirez missmutig.
“Stimmt. Aber das ist für mich im Augenblick auch nicht ganz so relevant. Erst müssen wir ihn zu fassen bekommen, danach können wir ihn uns vornehmen und herausfinden, was ihn zu diesen Morden bewegt hat. Punkt zwei: er verliert die Kontrolle. Das Gefühl, Macht über jemanden zu haben, muss so überwältigend für ihn sein, dass er sich nicht mehr zurückhalten kann! Und daraus ergibt sich Punkt drei: der Mord selbst ist nicht von vornherein beabsichtigt; er ergibt sich vielmehr aus der Situation.”
Ramirez nickte. In diesem Moment ging die Tür auf und ein Kopf von Detective Allison erschien im Türspalt. Er sah besorgt aus. Ich kannte ihn recht gut. Er war einer dieser Menschen, bei dem man seine Emotionen immer deutlich in den Augen erkennen konnte.
Und sein Gesicht beunruhigte mich zutiefst.
“Was ist?” fragte ich, und mein Herz begann wie wild zu pochen. Bitte nicht das, was ich vermutete!
Erzähl mir, dass die Bulls ihr Baseball-Spiel verloren hätten. Erzähl uns, dass der Chief eine schlechte Laune hat und jeden zur Schnecke macht, der ihm begegnet. Lass eine Grippe-Epidemie auf dem Präsidium ausgebrochen sein oder sonst irgendetwas!
Aber er sollte um Gottes Willen nicht diese Worte sagen, die ich ihm schon an seinem Blick ablesen konnte!
Allison hielt kurz inne. Dann sagte er im Tonfall tiefsten Bedauerns:
“Es hat einen neuen Mord gegeben! Wieder eine junge Frau! Offenbar euer Mann.
*** 42 ***
Wir hatten die Adresse innerhalb von nur vier Minuten erreicht. Es war das erste Mal, dass ich fast blind vor Wut und Verzweiflung über die Straßen gerast war. In diesem Moment hatten keine Hinweis- oder Stoppschilder, keine Ampeln oder sonstige Hindernisse eine Bedeutung für mich.
Sogar ein unvorsichtig ausschwenkender Lastwagen hielt mich nicht auf, sondern ließ mich nur halb auf dem Bürgersteig eine gefährliche Schleife vollführen. Mein alter Thunderbird hatte mächtig und zustimmend geröhrt und mit der lauten Sirene, die wir sofort auf dem Autodach angebracht hatten, in der Lautstärke gewetteifert.
Zum ersten Mal in all den Jahren sah ich Ramirez auf dem Beifahrersitz etwas blass werden. Verkrampft umklammerte er den Griff der Wagentür, den Blick immer starr geradeaus gerichtet. Aber sein Kopf ahmte bei jedem meiner ruckartigen Lenkmanöver und jeder Kurve die Bewegung des Lenkrades nach.
Mit quietschenden Reifen hielten wir schief stehend in der ruhigen Wohngegend, wo uns der nächste Schrecken erwarten sollte. Ich stieg aus und stutzte einen Augenblick. Ich hätte mich irren können, aber war das nicht …?
Bei Tageslicht sah zwar alles noch einmal etwas anders aus, aber diese Häuser, die bunten Mülltonnen - das Plakat von der Straßenfeier!
Scheiße!
“Weißt du, wo wir hier
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