Dunkle Symphonie der Liebe
scharf den Atem
ein. Sie und Byron saßen endlich hinter verschlossenen Türen in ihrem privaten
Wohnzimmer. Tasha hatte zwar verkündet, sie würde sich um den Captain kümmern,
aber bei all den anderen Pflichten, die auf sie warteten, hatte Antonietta
schon geglaubt, sie würde nie mit Byron allein sein. Die Neugier brachte sie
allmählich um. Die Neugier und der Wunsch, mit ihm allein zu sein.
»Meine Noten? Sie hat meine Noten
genommen, um sie irgendjemand anders zu geben?« Antoniettas Körper fühlte sich
vollkommen anders als sonst an. Fiebrig und erregt. Unvollständig. Sie rückte
ein Stück von Byron ab, damit er es nicht merkte.
»Nein. Das ist nicht von dir.
Die Blätter sind sehr alt. Ich habe Angst, dass sie mir unter den Fingern
zerfallen, wenn ich sie anfasse.«
Antonietta erstarrte. Mit ihrer
Hand fuhr sie sich an die Kehle. »Ich weiß, was das ist. Wie hat Marita das in
die Hände bekommen? Es war in Don Giovannis Privatsafe eingeschlossen. Niemand
außer Don Giovanni kennt den Code. Zumindest sollte niemand ihn kennen, und
glaub mir, Nonno würde eine solche Kostbarkeit nie weggeben. Dass dieses Stück
überhaupt existiert, ist nur unserer engsten Familie bekannt.«
Byron lehnte sich in seinem
Sessel zurück und streckte seine Beine in Richtung des prasselnden Kaminfeuers
aus. »Ist es sehr wertvoll?«
»Oh ja, das ist es. Es ist das
Original eines Werks des Komponisten Georg Friedrich Händel. Als junger Mann
besuchte er Italien und war auch hier im Palazzo häufig zu Gast. Schon damals
besaß die Familie Scarletti Reichtum und Macht und war an Musik interessiert,
und Händel war außergewöhnlich begabt. Kein Künstler hätte eine solche
Einladung abgelehnt. Er hielt sich in den drei bis vier Jahren, die er in
Italien verbrachte, immer wieder hier auf. Er hinterließ viele Aufzeichnungen
und ein Tagebuch und außerdem Partituren von Kantaten und Opern und sogar
Oratorien. Aber unser größter Schatz ist eine vollständige Oper, die Händel für
die Familie Scarletti komponiert hat. Er war nicht sehr zufrieden mit seinem
Werk. Er fand, dem Stück fehle das Feuer Italiens, und wollte es deshalb nicht
behalten. Unsere Familie erklärte sich einverstanden, es weder damals noch in
der Zukunft jemals öffentlich aufzuführen. Das Wort der Scarlettis ist heilig.
Wir halten dieses Versprechen seit vielen Generationen.«
Byron stieß einen leisen Pfiff
aus. »Georg Friedrich Händel. Ich hatte vergessen, dass er in Italien war. Es
war ja nur ein kurzer Aufenthalt. Soweit ich mich erinnere, reiste er im Jahr
1710 nach Hannover, fuhr aber von dort bald nach London weiter. Seine Oper Rinaldo wurde ein Jahr später aufgeführt.«
»Du hast dich mit Händel
beschäftigt?« Sie klang beinahe schockiert.
Byron, der sich selbst fragte,
wie ihm ein solcher Schnitzer hatte passieren können, senkte den Blick. »Ich
mag seine Musik«, antwortete er vorsichtig.
»Ich auch. Er kam Jahre später
wieder, um Musiker und Darsteller zu suchen. Wusstest du, dass er im Alter
blind war?« Sie straffte den Rücken und versuchte, den Druck zu mildern, der
sich in ihrem Inneren aufbaute.
»Das habe ich gehört, ja.«
Seine Stimme umhüllte sie wie
Samt und Seide. Antonietta schüttelte den Kopf. »Ich muss die Noten irgendwo
sicher verwahren. Mit Nonno rede ich morgen. Er ist schon längst zu Bett
gegangen. Ich scheine von Tag zu Tag länger zu schlafen und fast alles zu
verpassen.« Sie nahm ihm das Päckchen ab, vermied es aber, ihn dabei anzufassen.
»Ich bin gleich wieder da. Ich bringe es in den unterirdischen Tresorraum. Dort
wird Marita es wohl kaum finden.«
»Aber Paul vielleicht.« Byron
erhob sich mit einer trägen, fließenden Bewegung. Er erinnerte sie an eine
große Raubkatze, die sich vor einem warmen Feuer streckt. Und das machte sie
ganz kribbelig. »Ich komme mit.«
Sie war schon bei der Tür, die
in den Geheimgang führte. Das Letzte, was sie im Moment wollte, war, mit Byron
auf Tuchfühlung zu gehen. »Entspann dich doch ein paar Minuten.« Sie bemühte
sich, möglichst unbefangen zu klingen. »Es dauert nicht lang.«
»Es macht mir nichts aus. Ich
wollte mir ohnehin noch einmal die Wandbilder anschauen.« Er drückte sich so
eng an sie, dass sie seine Körperwärme spüren konnte.
Antonietta eilte voran und
bewegte sich zielsicher durch das Labyrinth von Tunneln. Byron folgte ihr
schweigend, aber sie war sich seiner Nähe sehr bewusst. Fast glaubte sie, seine
Muskeln unter ihren Fingern zu
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