Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
treffen. Es war kein obskures Hotel: Bei seiner kurz gefassten Einführung in Wittgensteins Philosophie, von der ich kein Wort verstand, hatte Markey mir unter anderem auch erzählt, dass Wittgenstein einmal in diesem Hotel gewohnt habe. Aber ich war noch nie dort gewesen.
Es wurde Sonntag. Nachdem der Barmann uns bedient hatte, ging er nach vorne in die Lounge, von wo man einen Fußballreporter aus dem Fernseher grölen hörte. Außer uns war niemand in der Bar.
Hugh Boody hatte Hände mit langen, schmalen Fingern. Er goss die Limonade ein und schob mir das Glas hin. Ganz gelassen saß er mir gegenüber am Tisch, hinter seinem kleinen Glas Whiskey. Ich war ein wenig verwirrt, aber Angst hatte ich keine – ich kannte ihn ja seit vielen Jahren als sehr angenehmen Chef.
»Rosie«, sagte er, und sein feines Gesicht war ganz offen. »Ich möchte dich gern als Geliebte. Ich spüre es mit allen Fasern meines Körpers, dass wir gut zusammenpassen würden. Ich möchte etwas Regelmäßiges, Rosie – ein Arrangement, so wie man es früher machte, aber natürlich diskret. Ich denke schon lange daran und hoffe, dass du es dir wenigstens einmal durch den Kopf gehen lässt. Du bist ehrlich. Das sieht man dir an. Und das ist auch der Grund, warum ich dir einfach die Wahrheit sage. Ich suche dir eine schöne Wohnung, Und selbstverständlich eröffne ich auch ein Konto für dich.«
Ich glaube, ich habe kein Wort gesagt. Ich habe nur den Kopf geschüttelt, immer wieder.
»Wenn du dir ganz sicher bist, dass du Nein sagen willst«, sagte er, und sein Gesicht war jetzt ganz rot, »dann war’s das. Kein Problem. Vergiss einfach, dass ich dir diesen Vorschlag überhaupt gemacht habe.«
Ich stand auf und sagte: »Ich möchte die Welt sehen. Ich möchte reisen.«
Er schaute zu mir hoch, und einen Moment lang verhakten sich unsere Blicke. Ja, er hatte recht – da war etwas zwischen uns. Jetzt, da ich ihn richtig wahrnahm, spürte ich das auch.
»Und ich gehe bald weg von hier«, sagte ich noch und verschwand.
Ich bemühte mich, so wenig wie möglich an Boodys Ansinnen zu denken. Ich fragte mich nicht: Was für ein Mann ist er? Ich fragte mich nicht: Warum ausgerechnet ich? Ich malte mir nicht aus, wie es wäre, mit ihm zu schlafen. Die konkreten Fragen wie zum Beispiel, was er seiner Frau und Tessa gesagt hätte, ließ ich gar nicht erst in meinen Kopf.
Weil er mir wehgetan hatte. Ich fand es schrecklich, dass es bereits einen Weg gab, den ich ausschlagen musste, obwohl doch das ganze Leben noch vor mir lag. Durch das Reisen versucht man, sich den ganzen Schatz der Erfahrungen zu erschleichen, deshalb plant man und bleibt in Bewegung und will immer noch etwas dazulernen. Aber durch Hughs Angebot war mir klar geworden, dass man nicht alles haben kann.
Gelegentlich erlaubte ich mir, einen Blick zurück zu werfen. Es wäre angenehm gewesen mit ihm und ohne große Konflikte, dachte ich inzwischen. Wie, wenn ich mit meinem Daddy in geregelten Verhältnissen gelebt hätte. Ich wäre fähig gewesen, alles zu erreichen …
Nein! Ich musste die Erinnerung an diesen Nachmittag beiseiteschieben. Und das tat ich, indem ich mich an die Arbeit machte, und eine Stunde später konnte ich einen Text nach Seattle schicken.
RosieB an MarkC
Markey,
hier ist ein Entwurf zum Thema »Reisen«. Es war nicht so leicht, wie man denken würde: Ich könnte über jeden Zentimeter, den ich je gereist bin, 150 Wörter sagen.
Das ist jetzt Nummer 7, stimmt’s? Wir haben:
Das Wunder der mittleren Jahre
Der Körper
Enttäuschung
Geld
Freundschaft
Kunst – ja, stimmt, Nummer 7. Als Nächstes schreibe ich dann noch über »Tiere« und »Essen«.
Okay? Ich erinnere mich, dass Du erzählt hast, Du hast eine Schildkröte in Seattle, die an der Tür auf Dich wartet, wenn Du nach Hause kommst, und die Geräusche von sich gibt, wenn Du ihr über den armen alten Kopf streichst. Ich will versuchen, einen Platz für die Schildkröten zu finden.
Habe ich Dir von dem Papagei berichtet, von diesem riesigen rot-blauen Vogel, den ich in einem Londoner Bed & Breakfast gesehen habe? Der Besitzer hat mir erzählt, dass dieser Vogel im Frühjahr immer die jungen weiblichen Gäste verfolgt. Er begibt sich ins Obergeschoss und wartet mit verliebter Miene vor ihren Türen. Ältere Frauen ignoriert er.
Ist das nicht furchtbar?
Anhang: Entwurf, Reisen
Seit der heilige Brendan sich in seinem Lederboot aufmachte, um Amerika zu finden, sind die Iren
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