Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
glaube ich. Dann fuhr er weg.
Ich kletterte über die Anhöhe in eine neue Welt.
Der Meer war überschwemmt vom dramatisch bleichen Licht des riesigen Mondes, der tief und rund über dem Horizont hing. Die Dächer unter mir – das Haus, die Scheune, die Schuppen – schimmerten in seinem Abglanz. Musik wehte über das silberne Wasser. War das wieder die Musikkapelle? Wurde heute Abend getanzt? Nein, jemand spielte eine alte Schallplatte, eine Aufnahme von – ach, es war sogar eine von Mins Lieblingsnummern, die sie so gern samstagabends bei Granny Barry im Wohnzimmer gehört hatte. Es war ein Song aus Cole Porters Musical Jubilee , melancholisch und beschwingt, ein Lied über einen karibischen Tanz, den Beguine, und über den Abschied von der Liebe. Als Kind mit meinen neun oder zehn Jahren hatte ich den wunderbaren Text immer leise mitgesprochen, aber längst nicht alles verstanden:
»When they begin the beguine
It brings back the sound of music so tender
It brings back a night of tropical splendour …«
Der Hund und ich blieben eine Weile in der Haustür stehen und blickten übers Wasser. Die weißen Schatten der Möwen tauchten gespenstisch leise aus der Dunkelheit auf und verschwanden dann ebenso geräuschlos wieder.
»So don’t let them begin the beguine,
Let the love that was once a fire remain an ember,
Let it sleep like the dead desire I only remember …«
Ich konnte nichts dagegen machen, dass sich mein Herz vor Wehmut zusammenzog. Ich vermisste Min. Ich vermisste meinen Vater. Ich vermisste die Abende, wenn die Frauen am Tisch saßen und sangen und draußen, vor den offenen Fenstern hinter ihren Köpfen, die Schwalben über den Abendhimmel sausten. Ich vermisste die Vergangenheit. Ich vermisste meine Kindheit. Ich vermisste meine Jugend. Ich sehnte mich nach einem Freund und Begleiter. Alles tat mir weh, weil ich so viel vermisste.
Der Goldglanz der Lichter der Stadt begann zu verschwimmen, als hätte es plötzlich und unerwartet angefangen zu regnen.
Nach einem kurzen Zögern entschied ich mich, Tessa zum Brunch einzuladen. Mir war klar, dass es diesmal nicht um mich ging.
»Brunch?«, sagte sie. »Im Château Misery? Ich kann Croissants mitbringen. Aber hast du überhaupt Kaffee im Haus?«
»Kaffee schmeckt nicht so richtig, wenn man ihn auf einem alten Kaminherd zubereitet«, sagte ich. »Und Tee passt nicht zu Croissants. Was hältst du von Rührei mit knusprigen Speckscheiben?«
»Zu viele Kalorien«, seufzte sie. »Das verdirbt mir den ganzen Tag.«
»Ich kann auch Kartoffelpuffer machen.«
»Ah – schon besser. Für Kartoffelpuffer lohnt es sich.«
»Aber es wäre gut, wenn du ein bisschen Obst mitbringst. Obst kriegt man ja heutzutage nur noch in der Großstadt, und ich habe solche Lust darauf.«
An dem Tag, den wir vereinbart hatten, wehte ein kalter, schneidender Wind, und Tess rannte mir richtig sportlich den Feldweg entgegen, schloss mich in die Arme und wirbelte mich herum, bis wir wieder zurück im Haus waren.
»Tu uns das nie wieder an!«, rief sie, halb lachend, halb ernst. »Du kannst nicht einfach verschwinden, ganz allein …«
»Ich bin auf dem Weg zurück in die Welt.«
Und so war es auch. Nicht, weil es einen entscheidenden Wendepunkt gegeben hatte. Kleine, sich summierende Erlebnisse schienen die Trittsteine aus der Dunkelheit heraus zu sein. Dass mir jemand, auf den ich eigentlich sauer war, eine Heizdecke schenkte. Die Einladung von Andy, die vermutlich gar keine gewesen war. Der Brunch und alles, was dazugehörte: der Vorschlag, die Einkäufe, die Zubereitung, und dann musste ich ja auch den Tisch decken und den Fußboden fegen und die Zweige mit den roten Vogelbeeren in einem Krug arrangieren und im Herd ein schönes Feuer machen.
Ich öffnete die Tüten, die wir aus Tessas Auto geholt hatten.
»Zum ersten Mal seit Langem freue ich mich wieder aufs Essen«, sagte ich. »Ich habe schon befürchtet, ich hätte total die Freude daran verloren. Aber in den letzten Tagen habe ich mir öfter ausgemalt, dass ich Melonen esse.«
»Da, in der ersten Tüte«, sagte Tess. »Honigmelone und Galia. Außerdem Aprikosen aus Syrien, Erdbeeren aus Simbabwe und Äpfel aus Neuseeland.«
»Ich habe irische Kartoffeln roh gerieben, um irischen Kartoffelteig zu machen, den ich mit irischem Mehl vermische, damit ich irische Kartoffelpuffer backen kann, die in fettarmer Butter schwimmen, damit wir doppelt so viel nehmen können, wie wenn wir normale Butter
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