Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
mehr von Kindern geplündert wurden, schimmerten bleich
im kühlen Mondlicht. Zu Hause fror ich erst mal eine Weile ganz erbärmlich, weil es so lange dauerte, bis die Heizkörper warm wurden. Ich hatte Min schon hundertmal versichert, dass wir es uns leisten konnten, richtig zu heizen, es half jedoch nichts, sie drehte die Heizung immer wieder ab. Aber sie musste vor nicht allzu langer Zeit unten gewesen sein: Der Wasserkocher war noch warm, und das Radio in der Küche dudelte. Jemand sang aus Händels Messias :
»Die Posaune wird ertönen,
und die Toten werden unverwest auferstehen,
und wir werden verwandelt werden …«
Eine Heirat hatte eine ganz andere Bedeutung, wenn man zu alt war, um noch Kinder zu bekommen. Tess könnte längst Großmutter sein, oder? Wenn sie mit zwanzig eine Tochter bekommen hätte und wenn diese Tochter … ja, dann könnte sie sogar schon Urgroßmutter sein! Andy wäre bestimmt ein liebevoller Vater gewesen. Er war zwar nicht unbedingt attraktiv, aber dafür unglaublich nett. Deshalb wurde er von den Leuten immer nur ausgenutzt und herumgeschubst. Sein Hof in Carlow war eine Art Zufluchtsort für alle möglichen Haustiere. Eine seiner Katzen hatte er zum Beispiel am Flussufer gefunden, mit einem gebrochenen Bein. Die Knochen wuchsen wieder zusammen, aber die Katze zog das Bein immer noch nach und drehte die Pfote beim Gehen nach außen. Trotzdem war sie sehr niedlich. Andy hatte auch wunderschöne schwarze Hühner, die ihm eine Lady Soundso in ihrem Testament vermacht hatte, weil er, genau wie sie selbst, eine Vorliebe für seltene Tierarten hatte. Daneben verpflegte Andy noch eine ständig wechselnde Gruppe von Pferden und Eseln.
Fast alle seine Tiere mussten weggeschickt werden, wenn er nach England fuhr, sobald ein Flugzeug bereitstand, um die NoNeed
-Tiere nach Afrika zu bringen. Aber keine von uns hatte sich je überlegt, was es wohl für ihn bedeutete, seine gesamte Menagerie aufzugeben. Das war auch der Grund, weshalb wir so schockiert reagiert hatten, als Tess ankündigte, sie werde ihn heiraten: Wir hatten niemals ernsthaft über Andys Gefühlsleben nachgedacht.
Andy könnte mühelos noch ein Kind zeugen. Kindern ist es gleichgültig, wie ihr Vater aussieht. Sie gurren und lächeln trotzdem, wenn sie ihn sehen, nicht wahr? Saul Bellow erinnerte gegen Schluss an einen kranken Dackel, aber seine Freundin war ganz darauf versessen, noch ein Kind von ihm zu bekommen. Charlie Chaplin sah zwar immer noch gut aus, sofern man auf kleine alte Männer stand, aber – du meine Güte, beim letzten Kind war er über siebzig! Sollte man da nicht annehmen, dass sein Pimmel längst zu müde war, um sich noch aufzurichten? Angeblich war die irische Luft daran schuld gewesen, dass er noch ein Kind zeugte – er machte mit seiner Frau neun Monate vor der Geburt Urlaub in Kerry. Ja, und Rostropovitsch. Hatte nicht Rostropovitsch auch noch ein Kind gezeugt – oder war’s ein anderer Russe mit Altersflecken gewesen? Es gab Männer, die wurden mit jedem Jahr attraktiver. Man brauchte sich nur Bill Clinton anzusehen: Klar, er war von Anfang an sexy gewesen, aber seit seiner Herzoperation wirkte er sogar noch anziehender. Frauen über sechzig konnten auch eine sehr sinnliche Ausstrahlung haben, jedenfalls manche von ihnen, aber nicht zu vergleichen mit Bill Clinton – nicht so, dass man ein Ziehen im Bauch spürte. Um die Frauen in Bill Clintons Alter versammelten sich nicht ganze Trauben von Männern, um sie mit ihren Blicken zu verschlingen.
Als ich ins Bett ging, fiel mir eine Szene von früher ein: Ich stand vor dem Trinity College an der Straße und wartete auf eine Lücke im Verkehr. Neben mir stand ein Mann, und als wir einander zufällig anschauten, merkte ich, dass es Paul Newman
war: kurze graue Haare, die Augen immer noch sagenhaft blau in diesem schön geschnittenen Gesicht, schlanke Figur in einem perfekt sitzenden Anzug. Als er die Straße überquerte, dachte ich: Das muss ich unbedingt Min erzählen, dass Butch Cassidy da draußen herumspaziert! Aber für meinen Geschmack war er eigentlich zu stilvoll, zu elegant. Ich mochte es lieber, wenn die Männer ein bisschen zerknautscht waren.
Beim Gedanken daran musste ich lachen – eine junge Irin, die kein Mensch kannte und die in Dublin bei ihrer Tante wohnte, entschied sich gegen Paul Newman, weil er ihr zu smart war.
Aber bevor mir die Augen zufielen, musste ich wieder an Tessas letzten Satz denken.
Als ich ausstieg, drehte
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